geboren am 27. November 1967
deutsch-iranischer Schriftsteller und Publizist, der zahlreiche Preise und Auszeichnungen wie den Friedenspreis des deutschen Buchhandels (2015) erhalten hat
Foto: Halim Dogan
Geschichte des Asylrechts
Unter Asyl versteht man den Schutz von Migrant*innen durch ein aufnehmendes Land, das die Migration aus politischen, ethnonationalen, rassistischen oder religiösen Gründen als alternativlos einschätzt. Zur Regelung des Verbleibs der Geflüchteten entstand in Europa im 19. Jahrhundert das moderne Asylrecht. Notwendig wurde es, da in dieser Zeit immer mehr Menschen wegen Verfolgung ihr Land verlassen mussten. Besonders aufgrund den das 19. Jahrhundert prägenden Ideen wie Nationalismus, Demokratie, Liberalismus und Sozialismus mussten viele Menschen, die für ihre Werte einstanden, aus ihrem Land fliehen.
Es entwickelten sich vor allem zwei verschiedene Arten der Aufnahme dieser Flüchtlinge, die bis zum Ersten Weltkrieg verbreitet waren. Einerseits die Einwanderung ohne Prüfung der Gründe. Besonders in Großbritannien und den USA war dies möglich. Andererseits gab es „die Gewährung eines spezifischen Rechtsstatus für Flüchtlinge“. Wem dieser Status zugewiesen wurde, der konnte nicht mehr in das Herkunftsland ausgewiesen werden. Dafür konnte der aufnehmende Staat fast frei über die aufgenommene Person verfügen. Der Grundsatz der Nicht-Auslieferung wurde während des 19. Jahrhunderts in verschiedenen westeuropäischen Staaten auch in Auslieferungsgesetzen niedergeschrieben. Somit waren politische Flüchtlinge meist sicher. In Ost- und Mitteleuropa herrschte jedoch eher ein asylfeindliches Klima und viele Geflüchtete wurden ausgeliefert. Innerhalb des deutschen Bundes verstand man sich 1832 auf die gegenseitige Auslieferung von politischen Flüchtlingen, die deutlich schneller als gewöhnliche Straftäter überführt wurden. Außerdem gab es zwischen Preußen, Russland und Österreich einen gegenseitigen Auslieferungsvertrag.
Mit dem Ersten Weltkrieg änderte sich die Situation für Flüchtlinge in Europa stark. Generell wurden durch die russische Revolution und diverse Staatenbildungsprozesse in Ost- und Südosteuropa viele Menschen dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Daher kam es in den aufnehmenden Ländern zu Angst vor ‚Überfremdung‘ und vor der Überlastung des Sozialstaats. Deutschland wurde zu einem der wichtigsten Ziele der etwa zehn Millionen Flüchtlinge nach dem Ersten Weltkrieg. Mit dem „Deutschen Auslieferungsgesetz“ wurde 1929 in Weimar erstmals das Asylrecht in Deutschland niedergeschrieben und garantierte somit politischen Flüchtlingen Schutz in Deutschland. Mit der ‚Machtübernahme‘ der Nationalsozialisten war Deutschland jedoch nicht mehr offen für die Aufnahme von Geflüchteten. Im Gegenteil noch drängte das Regime viele Menschen ins Exil.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Europa eine bis dahin noch unbekannte Art der Migrationsbewegungen. Um den vielen zehn Millionen Menschen auch rechtlich Schutz zu gewähren, beinhaltete die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 auch das individuelle Asylrecht für im eigenen Land Verfolgte. Dieser Grundsatz fand jedoch selten auch den Weg in die nationalen Gesetzbücher der Mitgliedsstaaten. In Deutschland allerdings wurde im Grundgesetz Art. 16 erklärt, dass „politische Verfolgte“ das Asylrecht genießen. Der Hintergedanke war hier vor allem, den Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone Schutz zu bieten. Problematisch an der Formulierung war, und ist bis heute, dass nicht klar definiert ist, wer als politisch verfolgt gilt.
1993 trat eine Grundgesetzänderung in Kraft, die unter anderem von Navid Kermani stark kritisiert wurde. Denn von nun an konnten Menschen, die aus verfolgungsfreien Ländern kommen, oder durch sichere Drittstaaten flüchten, zu welchen z.B. alle Nachbarländer Deutschlands zählen, in Deutschland kein Asyl beantragen. Somit wurde es vielen Menschen erschwert und teilweise fast unmöglich gemacht, Asyl zu erhalten.
Auch die Europäische Union bzw. ihr Vorgänger ist und war sich im Thema Asylpolitik nicht einig. Sie beschränkte sich eher auf eine Grenzschutz- und Visapolitik, die Zuwanderung beschränkt. Seit 2013 gibt es jedoch ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem, das aber von den Mitgliedsstaaten unterschiedlich interpretiert wird.
Navid Kermani, dessen Eltern 1959 aus dem Iran in die Bundesrepublik einwanderten, wurde am 27. November 1967 in Siegen geboren. Er ist der vierte Sohn der Familie, sowohl sein Vater als auch seine drei Brüder sind praktizierende Ärzte. Navid Kermani schlug jedoch eine andere Laufbahn ein: Er ist Schriftsteller, Publizist und Orientalist, der mit zahlreichen Kultur- und Literaturpreisen – so 2015 auch mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – ausgezeichnet wurde.
Bereits als Schüler arbeitete Kermani als freier Mitarbeiter für die „Westfälische Rundschau“, schrieb während seines Studiums dann für überregionale deutsche Zeitungen: Zwischen 1996 und 2000 war er fester Autor im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Kermani studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaften in Köln, Kairo und Bonn. 1998 wurde er im Fach Orientalistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn promoviert, 2006 folgte seine Habilitation. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Köln.
Kermani setzt sich nicht nur literarisch mit gesellschaftlich relevanten und aktuellen Fragestellungen auseinander, sondern bezieht auch in Reden und öffentlichen Auftritten deutlich Stellung, wird zu einer Art ‚moralischer Instanz‘. Bekannt wurde er so unter anderem als Reporter aus Krisengebieten, wie 2014 aus dem Irak. Ein Jahr später reiste er auf der sogenannten Balkanroute, einer Hauptflüchtlingsroute. Am Ende dieser Reise entstand eine Reportage, die sich Flüchtlingsschicksalen widmet: Sie gibt Menschen, die sich auf der Flucht befinden, eine Stimme und reflektiert zugleich die Rolle Europas in dieser Krise kritisch.
Wohl am bekanntesten ist Navid Kermanis Rede zur Feierstunde „65 Jahre Grundgesetz“ am 23. Mai 2014. An diesem Tag erinnerte der Deutsche Bundestag an die Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949. In seiner Festrede würdigte er die Bedeutung des Grundgesetzes, das in der Nachkriegszeit „Wirklichkeit geschaffen“ habe. Er lobte die Bundesrepublik Deutschland für ihre Integrationsbereitschaft, kritisierte zugleich jedoch auch die Einschränkungen des Asylrechts aus dem Jahr 1993. So sagte er in Bezug auf Artikel 16a des Grundgesetzes: „Auch heute gibt es Menschen, viele Menschen, die auf die Offenheit anderer, demokratischer Länder existentiell angewiesen sind. […] Andere ertrinken im Mittelmeer – jährlich mehrere Tausend […]. Deutschland muss nicht alle Mühseligen und Beladenen der Welt aufnehmen; aber es hat genügend Ressourcen, politisch Verfolgte zu schützen, statt die Verantwortung auf die sogenannten Drittstaaten abzuwälzen.“
2015 erhielt Navid Kermani den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In der Begründung heißt es: „Der deutsche Schriftsteller, Orientalist und Essayist ist eine der wichtigsten Stimmen in unserer Gesellschaft, die sich mehr denn je den Erfahrungswelten von Menschen unterschiedlichster nationaler und religiöser Herkunft stellen muss, um ein friedliches, an den Menschenrechten orientiertes Zusammenleben zu ermöglichen.“
Gerade aufgrund seines Einsatzes für eine offene europäische Gesellschaft, die auf der Achtung der Menschenrechte und einem demokratischen Zusammenleben fußt, gilt Navid Kermani als „Streiter für Demokratie“. So regt er die kritische Auseinandersetzung über Akzeptanz, Toleranz und Freiheit an, indem er alle Menschen mit ihren unterschiedlichen Biografien in den Blick nimmt.
Literaturhinweise
Kermani, Navid: Der Einbruch der Wirklichkeit, in: Der Spiegel 42/2015, URL: <https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-139226803.html> [aufgerufen am 11.05.2020].
Kermani, Navid: Morgen ist da, C.H.Beck, München ³2020.
Oltmer, Jochen (2017): Wie ist das Asylrecht entstanden?, <URL: https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/224641/wie-ist-das-asylrecht-entstanden/ > [aufgerufen am 04.04.2022].