Im Gespräch mit … Andreas Kreiner-Wolf


Seit April 2019 ist Andreas Kreiner-Wolf Leiter der Geschäftsstelle des landesweiten Bündnisses „Demokratie gewinnt!“ der Fridtjof-Nansen-Akademie für politische Bildung im Weiterbildungszentrum Ingelheim. Mit ihm sprechen wir über den rheinland-pfälzischen Demokratie-Tag.


Interview: Hans Berkessel | Juni 2020


Zur Person
Andreas Kreiner-Wolf studierte Ethnologie und Soziologie im Magisterstudiengang an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Er war als Bildungsreferent tätig im Bereich Fairer Handel beim Entwicklungspolitischen Landesnetzwerk Rheinland-Pfalz (ELAN e.V.). Beim Diakonischen Werk Rheinhessen war er über mehrere Jahre in der Funktion eines Sozialarbeiters im Bereich ‚Flucht und Migration‘ beschäftigt, in dem er die Asylverfahrensberatung im Kreis Mainz-Bingen und die Ökumenische Beratungsstelle in der Abschiebungshaft in Ingelheim betreute. Seit April 2019 leitet er die Geschäftsstelle des landesweiten Bündnisses „Demokratie gewinnt!“ der Fridtjof-Nansen-Akademie für politische Bildung im Weiterbildungszentrum Ingelheim. Von Haus aus ist er gelernter Koch mit Zusatzausbildung zum Vollwertkoch (UGB).



Seit dem Jahr 2019 leiten Sie die Geschäftsstelle für das Bündnis „Demokratie gewinnt!“ und den Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz. Worin genau bestehen Ihre Aufgaben und welches waren die prägenden Erfahrungen des ersten Jahres? 

Die Geschäftsstelle ist vor allem mit zwei Aufgaben betraut. Zum einen organisieren wir als große Veranstaltung den landesweiten Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz, der im vergangenen Jahr zum 14. Mal stattfand. Dies machen wir zusammen mit einer Reihe von Veranstalter*innen, Partner*innen und unterstützenden Organisationen aus der Reihe der Bündnispartner*innen. Im Bündnis „Demokratie gewinnt!“ haben sich mittlerweile etwa 60 Organisationen und Institutionen zusammengefunden, die sich gemeinsam dem Ziel der Demokratiebildung und damit dem Zusammenhalt in der Gesellschaft verschrieben haben. Ziel ist es, junge Menschen schon früh zu einem Engagement in und für diese demokratische Gesellschaft anzuregen.
Die zweite Aufgabe der Geschäftsstelle besteht daher darin, die Vernetzung der Partner*innen im Bündnis zu verbessern. Im Bündnis reichen die Mitglieder von politischen Institutionen des Landes (Staatskanzlei, mehrere Ministerien, Landtag) über die großen Medienanstalten, Träger schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit und Jugendarbeit über Kommunen und Unternehmen bis zu zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie sehen, dies bildet ein breites Spektrum der Gesellschaft ab mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Bedürfnissen. Wir versuchen, die Bedarfe zu erkennen, Informationen weiterzuleiten und einzelne Kooperationen anzuregen. Ein Netzwerk hat grundsätzlich eine offene Struktur und bietet Möglichkeiten, die viel beschworenen Synergien zu nutzen und interessierte Partner*innen zusammenzubringen.
Prägend in den ersten Monaten war sicherlich die neue Aufgabe, eine Veranstaltung mit über 1.000 Teilnehmenden zu organisieren. Man macht sich keine Vorstellung von den Details, die in der Vorbereitung eine Rolle spielen, angefangen von Programmgestaltung und räumlicher Planung, über ordnungsrechtliche und versicherungstechnische Fragen, Catering, Helfer*innen-Gewinnung, Sicherheitsaspekten usw. Da ist es gut zu wissen, dass man sich der Unterstützung einer guten Kollegin und des ganzen Teams der Fridtjof-Nansen-Akademie sicher sein kann. So etwas stemmt man nicht alleine.


Welche Angebote und Beteiligungsmöglichkeiten – insbesondere auch für junge Leute – bietet Ihres Erachtens der Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz?

Normalerweise ist der Demokratie-Tag als große eintägige Präsenzveranstaltung angelegt. Diese ist gegliedert in die Bereiche Bühnenprogramm, Workshops, Ausstellung/Messe und Freifläche mit Verpflegung und ergänzenden Angeboten.
Auf der Bühne gibt es in Diskussionsrunden und interaktiven Formaten wie dem „Heißen Eck“ die Gelegenheit, im Land relevante politische Persönlichkeiten aus der Nähe kennenzulernen und sich am Austausch zu beteiligen. In mehreren Zeitfenstern hat man die Möglichkeit, an vielen verschiedenen interaktiven Workshops teilzunehmen, die einen breiten Themenbereich abdecken. Im Rahmen der auf mehrere Räume aufgeteilten Ausstellung kann man sich an der Vielzahl von Ständen nicht nur informieren, sondern häufig auch interessante und spannende Dinge ausprobieren und für die eigene Arbeit wichtige Kontakte knüpfen.


Der Demokratie-Tag ist jetzt seit zwei Jahren zu Gast in Ingelheim. Welche besonderen Möglichkeiten bietet die Kombination aus kING und Weiterbildungszentrum als gemeinsamem Veranstaltungsort? Welche Bedeutung hat die Einbindung in die Fridjof-Nansen-Akademie für politische Bildung?

Die Kombination aus der Veranstaltungshalle kING mit professioneller Bühnenausstattung und technischer Betreuung und den räumlichen Möglichkeiten, die uns das Weiterbildungszentrum Ingelheim bietet, hat uns gezeigt, dass die vielfältigen Veranstaltungsangebote so gut realisiert werden können. Für Ingelheim war es im vergangenen Jahr durch die stärkere Einbindung des Fridtjof-Nansen-Platzes zwischen den beiden Gebäuden auch eine sichtbare Veranstaltung mit Ausstrahlung in die Stadt. Neben der Verpflegung durch die Foodtrucks und dem erwähnten Angebot des Heartbeat-Busses gab es auf der Freifläche die Möglichkeit, am Fußballtor des FSV Mainz 05 dabei zu sein, eine große Plakat-Ausstellung zu sehen und sich zu treffen.
Die Fridtjof-Nansen-Akademie unterstützt die Veranstaltung nicht nur materiell und mit einem engagierten Team, sondern auch ideell. Das „Gesamtpaket“, das auch den kurzen Draht zur Stadt beinhaltet, hilft in der Organisation einer Veranstaltung dieser Größe enorm weiter. Zudem steht die FNA als Träger unserer Stelle inhaltlich voll hinter uns. Der Titel unseres Programmbereichs „Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt“ illustriert anschaulich, dass das Thema ganz oben steht und zeigt, wofür wir uns als Akademie einsetzen.


Der Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz wird ja seit seinen Anfängen im Anschluss immer ausgewertet. Welches Feedback hat der 14. Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz erhalten? Inwieweit sind die Neuerungen gut angekommen, was wurde eher kritisch gesehen?

Die thematische Bezugnahme auf die Proteste der Fridays for Future-Bewegung und damit einer aktuellen, von jungen Menschen betriebenen und alle betreffenden Bewegung hat der Veranstaltung in meinen Augen gut getan. Schließlich geht es um das Engagement junger Menschen und damit auch darum, dass sie uns und unsere politischen Vertreter*innen in Bewegung bringen.
Da das Vorantreiben eines solchen Anliegens überwiegend junger Menschen nur in einer demokratischen Gesellschaft vonstattengehen kann, die sich auf Grundsätzen wie Gleichheit und Offenheit gründet, auf der Achtung der Menschenrechte und dem Schutz von Minderheiten, wollten wir am Demokratie-Tag die dafür notwendige Plattform schaffen. Der Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz konnte anhand einer Vielzahl von Beispielen zeigen, wie viele Menschen sich für eine bessere Zukunft und ein demokratisches Miteinander einsetzen.
Das Interesse an der Veranstaltung übertraf auch 2019 die Erwartungen und im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der TeilnehmerInnen inklusive der am Nachmittag hinzu Gekommenen um ca. 30% auf etwa 1.100 erhöht. Insgesamt haben über 90% der Besucher*innen den Demokratie-Tag mit ‚sehr gut‘ oder ‚gut‘ bewertet und ebenso viele würden den nächsten Demokratie-Tag wieder besuchen, wenn es terminlich möglich ist.
Die Ausstellung wurde unverändert von ca. 80% der Rückmeldenden mit gut bis sehr gut eingestuft. Ebenso bewerteten ca. 80% die Organisation mit gut bis sehr gut, beim Veranstaltungsort lag dieser Wert sogar bei annähernd 93%. Dass dieses Mal erstmals durch die dafür gewonnenen Food-Trucks angebotene Mittagessen wurde von 63% mit gut bis sehr gut bewertet, einige negative Rückmeldungen betrafen den gegenüber den Vorjahren erhöhten finanziellen Aufwand für die Mittagsverpflegung (der aber durch den Verzicht auf einen Teilnahmebeitrag an anderer Stelle kompensiert wurde). Einige Schwierigkeiten zeigten sich im Registrierungsprozess am Morgen der Veranstaltung. Hier hatten wir Ideen zur Umsetzung der Verbesserungsvorschläge, auf die wir durch die diesjährige besondere Situation nun nicht zurückgreifen müssen.


Welche Bedeutung hat für Sie der Demokratie-Tag im Kontext der demokratiepädagogischen Aktivitäten in unserem Bundesland?

Der Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz ist die große Plattform, auf der sich alle, die sich für das Thema Demokratiebildung/-pädagogik und für die Stärkung von Engagement und gesellschaftlichem Zusammenhalt einsetzen, präsentieren können. Er ist somit nicht nur eine Veranstaltung für junge Menschen, sondern dient auch der Vernetzung aller Multiplikator*innen in diesem Bereich. Dies ist für den Zusammenhalt ebenso wichtig.
Dies sollten wir gerade jetzt in der Wahrnehmung einer voranschreitenden Spaltung unserer Gesellschaft nicht vernachlässigen. Junge Menschen wünschen sich von uns Erwachsenen auch Antworten auf die Corona-Krise. Dazu gehört, dass wir uns auch um ihre Belange kümmern und ihre Bedürfnisse ernst nehmen. Verbesserte und verantwortliche Mitbestimmung und Engagement für die Gesellschaft, in der wir leben, erreicht man nicht allein durch medizinische Fürsorge und durch Förderprogramme der Wirtschaft, so bedeutsam diese auch sein mögen. Wir müssen den jungen Menschen zeigen, dass ihre Stimme wichtig ist.
Der Demokratie-Tag zeigt, wie viele Menschen sich engagieren für eine demokratische Gesellschaft und ist daher wichtig für die öffentliche Wahrnehmung dieses Engagements – und er macht Mut.


Kann der Demokratie-Tag mit seinen Workshops, seinen Informations-, Diskussions- und Mitmachangeboten aus Ihrer Sicht auch einen relevanten Beitrag zur Aufklärung und Prävention gegen Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Hass und Hetze auf den Straßen und im Netz bieten?

Gerade jetzt, wo wir beobachten, dass – bei aller möglicherweise berechtigten Kritik – die extremen Stimmen immer lauter werden, während die vernünftigen Stimmen leiser werden, sollten wir politische Bildung und damit demokratiepädagogische Aktivitäten nicht aus dem Fokus rücken lassen. Sie erscheinen notwendiger denn je.
Die Demonstrationen gegen die Maßnahmen, die im Rahmen der Pandemie ergriffen worden sind, bringen viele unterschiedliche Menschen zusammen. Diesen Protest und die Kritik, die dort geäußert wird, versuchen rechtspopulistische Kreise zu instrumentalisieren und für ihre Zwecke zu nutzen. Rechtsextremistische Gruppen unterwandern die Proteste zum Teil, und was an Hassbotschaften durch die Untiefen des Internets geistert und dort gerade verstärkt an die Oberfläche gespült wird, ist unsäglich, eigentlich, aber in der Anonymität des Netzes wird es (wieder) gesagt.
Hier können wir mit der Vielfalt der Angebote auf dem Demokratie-Tag zeigen, wie man mit diesen Botschaften umgehen kann, wie man Fake News und Verschwörungsmythen erkennt oder wie man junge Menschen insgesamt stärken kann, um sie nicht so anfällig werden zu lassen, wie wir es derzeit bei einigen älteren Mitbürger*innen erleben müssen.


Aufgrund der mit der Corona-Pandemie verbundenen Einschränkungen wird der Demokratie-Tag als Großveranstaltung mit zuletzt mehr als 1.000 Teilnehmer*innen nicht mehr in der bisherigen Form stattfinden können. Welche Perspektiven und neuen Veranstaltungsformen sehen Sie, um den Tag dennoch durchführen zu können?

In diesem Jahr wird alles anders, wie gesagt: Pandemie-bedingt. Aufgrund der noch geltenden Abstands- und Hygieneregeln wird es nicht möglich sein, den Demokratie-Tag in der gewohnten Form durchzuführen. Wir werden ihn daher in eine Online-Version mit einem Live-Stream des Bühnenprogramms am 4. November umwandeln. Dadurch werden wir andere Angebote, wie z.B. die Workshops, auf mehrere Tage aufteilen können, sodass Schulen und andere Interessierte sich über einen größeren Zeitraum verschiedene Programmpunkte zusammenstellen können, quasi eine halbe Demokratie-Woche, die zudem dadurch erweitert wird, dass sie in Kooperation mit den Demokratie-Tagen einiger anderer Bundesländer gemeinsam stattfinden wird.
Durch die geplante Umstellung in diesem Jahr sind manche meiner Antworten, die sich auf die übliche Form bezogen haben, sicherlich nicht vollumfänglich gültig. Die im letzten Jahr spürbare große Lebendigkeit einer gemeinsamen Veranstaltung mit so vielen Menschen in den Gebäuden und auf dem Platz ist sicher nicht im Internet reproduzierbar. Andererseits werden sich Möglichkeiten für die Nutzung der Angebote ergeben, an die wir vorher noch gar nicht gedacht haben, vor allem in punkto Reichweite und Digitalisierung. Es werden sich so auch für die Zukunft Möglichkeiten ergeben, die einzelne Elemente beider Formate kombinieren können. Wir sind gespannt, wie die Variante in diesem Jahr angenommen wird und ob wir der Herausforderung der Schulen, sich erst einmal mit dem Nachholen des ausgefallenen Stoffs und mit vielen organisatorischen Aufgaben zu beschäftigen, mit unserer Veranstaltung dennoch einen wichtigen Punkt hinzufügen können: dass nämlich Demokratiebildung eine wichtige Grundfunktion im Lernen fürs Leben darstellt.

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