Buchvorstellung „Schreie auf Papier“

Am 26. April wurde in den Mainzer Kammerspielen das neu erschienene Buch „Schreie auf Papier. Die Briefe von Heinrich und Selma Wolff aus Mainz an ihre Söhne Herbert und Helmut in New York 1937–1941“ vorgestellt. Die knapp 80 Gäste erhielten nicht nur einen Einblick in den Inhalt und die historischen Hintergründe der Publikation, sondern lernten auch deren besondere Entstehungsgeschichte kennen.

Im Buch zusammengestellt sind die Briefe des jüdischen Ehepaares Wolff aus Mainz, die diese von 1937 bis 1941 an ihre bereits ausgewanderten Söhne in den USA schrieben. Sie vermitteln lebensnah und authentisch, wie sich die Lebensumstände jüdischer Menschen während der NS-Diktatur immer weiter verschlechterten.

Professor Dr. Michael Matheus, Vorsitzender und Direktor des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. (IGL), wies in seiner Begrüßung und Einführung zunächst daraufhin, dass Studien zur jüdischen Geschichte in der wissenschaftlichen Arbeit des IGL immer wieder eine wichtige Rolle spielten und unverändert spielen. So erschien im Jahr 2016 mit dem Band „Leuchte des Exils. Zeugnisse jüdischen Lebens in Mainz und Bingen“ die erste Publikation in der neuen Reihe des IGL: „Beiträge zur Geschichte der Juden in Rheinland-Pfalz“. Das Herzstück der Reihe stellen drei Bände dar, in denen Quellen und Abbildungen zur jüdischen Geschichte der sogen. SchUM-Städte Speyer, Worms, Mainz veröffentlicht werden. Mit Blick auf den jetzt vorliegenden vierten Band der die Seltenheit der umfassend erhaltenen Briefe hervor und nannte sie einen „Überlieferungs-Glücksfall“: „Der Briefwechsel aus Mainz nach New York ist einseitig fast vollständig erhalten, ein Überlieferungszufall. Zudem waren Mitglieder der Familie bereit, ihn für diese Edition zur Verfügung zu stellen. Zum dritten fanden sich Spezialisten, die eine wissenschaftliche Edition auf die Beine gestellt, und das heißt nicht zuletzt eine historische Einordnung geleistet haben. Dies ist Voraussetzung für eine wissenschaftlicher Quellenkritik verpflichteter historische Erinnerungsarbeit, der wir am IGL einen hohen Stellenwert zuweisen.“ Direkte personale Quellen und Zeugnisse hätten erinnerungskulturell zudem eine zunehmend große Bedeutung, da die Zahl der Zeitzeug*innen immer geringer werde.

Die besondere Aktualität der Beschäftigung mit Krieg und Unterdrückung hob die rheinland-pfälzische Ministerin für Bildung, Dr. Stefanie Hubig, mit Blick auf die Ukraine hervor. Sie betonte daran anschließend die besondere historische Verantwortung Deutschlands, weiterhin gegen das Vergessen der NS-Diktatur und des Holocausts vorzugehen. Insbesondere für die jüngere Generation sei es dabei hilfreich, regionale Verbindungen und emotionale Nähe herzustellen, wie es in „Schreie auf Papier“ geschehe. Als Beispiel hob sie die Arbeit der Schüler*innen der Klasse 10c des Rabanus-Maurus-Gymnasiums in Mainz hervor, die basierend auf der Publikation eine Wandzeitung erstellt haben, in der sie ihre Auseinandersetzung mit den Briefen und der Familienbiografie dokumentierten. „Das Schicksal der Nackenheimer Familie Wolff“, so die Ministerin, „verdeutlicht beispielhaft die Auswirkungen der NS-Politik auf die Lebensverhältnisse der jüdischen Deutschen, die in Rheinhessen ihre angestammte Heimat, ihren Wirkungs- und Freundeskreis hatten.“

Auch Marianne Grosse, Kulturdezernentin der Stadt Mainz, betonte in ihrem Grußwort die Bedeutung regionaler Erinnerungskultur: „Diese Briefe sind von unschätzbarem historischem Wert für unsere Stadt!“ Das Buch sei eine Mahnung für die heutige Zeit, aktiv an einer toleranten Gesellschaft mitzuwirken. Daran knüpften auch andere Einrichtungen und Gedenkorte an, so etwa das künftig entstehende Mahnmal am ehemaligen Mainzer Güterbahnhof, von dem aus die Mainzer Jüdinnen und Juden im März und September 1942 deportiert wurden – darunter auch das Ehepaar Wolff.

In seiner historischen Einführung erläuterte Hans Berkessel, Mitherausgeber und Vorsitzender des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V., die historischen Hintergründe Antijudaismus und Antisemitismus und seiner Folgen für die Lebenssituation jüdischer Menschen insbesondere in der Zeit von 1933–1945. Dabei stellte er besonders die Ausweitung und Radikalisierung des Antisemitismus seit 1933 heraus, der mit der ‚Machtübernahme‘ der Nationalsozialisten quasi zur ‚Staatsdoktrin‘ geworden sei, so dass das bisher in völkisch-nationalistischen Kreisen verbreitete Denken, die Propaganda und die Gewaltaktionen jetzt ganz offiziell von der neuen Staatsführung des NS-Regimes übernommen worden sei: „Die Judenverfolgung zeigte unter dem Deckmantel von über 2.000 Gesetzen und Verordnungen, wie man universal gültige Menschen- und Bürgerrechte mit Füßen trat, eine nach pseudowissenschaftlichen Kriterien definierte Bevölkerungsgruppe Schritt für Schritt ihrer Rechte beraubte, ihre Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten einschränkte, sie systematisch ausraubte, zur Flucht ins Ausland zwang und am Ende in die Vernichtungslager in Osteuropa deportierte und dort ermordete.“

Berührend waren auch die Erinnerungen der Mitherausgeber Dr. Martina und Hans-Dieter Graf an Raymond Wolff, der es sich zum Lebenswerk machte, die Briefe seiner Großeltern zur Veröffentlichung zu bringen. Er habe zwei Drittel seines Lebens damit verbracht, das Schicksal seiner Familie zu erforschen und deren Dokumente zusammenzutragen. Leider verstarb er – mitten in den redaktionellen Endbearbeitungen des Briefbandes – im letzten Jahr und konnte der letztendlichen Veröffentlichung des Buches, als „seines Vermächtnisses“ nicht mehr miterleben. Das Ehepaar Graf ließ zudem durch die Lesung einiger exemplarische Passagen aus den Briefen das Schicksal des Ehepaar Wolffs in Hoffnung und Verzweiflung plastisch vor Augen treten.

Dr. Annette Nünnerich-Asmus, Geschäftsführerin des Nünnerich-Asmus-Verlags Oppenheim, verwies zudem auf die Bedeutung und große Nachfrage der Bände zur jüdischen Geschichte im Programm des Verlags und hob die gute Zusammenarbeit mit dem IGL hervor. Sie bedankte sich bei den vielen Sponsoren der Publikation, u. a. dem Bildungsministerium, der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur, der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz u. a. m., die dazu beigetragen haben, dass das attraktiv gestaltete Buch im Umfang von 352 Seiten zum publikumsfreundlichen Ladenpreis von 25 Euro angeboten werden könne.

Im Ausklang der Veranstaltung war für viel Gesprächsstoff gesorgt, und es herrschte reges Interesse am Bücherstand des Nünnerich-Asmus-Verlags. Wir bedanken uns herzlich bei allen Anwesenden und Vortragenden für den gelungenen Abend!

Das Buch ist ab sofort in einigen Mainzer Buchhandlungen erhältlich oder kann online über den Nünnerich-Asmus-Verlag bestellt werden.

Raymond Wolff, Martina und Hans-Dieter Graf & Hans Berkessel (Hg.): „Schreie auf Papier. Die Briefe von Heinrich und Selma Wolff aus Mainz an ihre Söhne Herbert und Helmut in New York 1937–1941“

Veröffentlichung des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V., Band 4 der Reihe „Beiträge zur Geschichte der Juden in Rheinland-Pfalz“

ISBN 978-3-96176-139-5

352 Seiten, 25 €


Am Samstag, dem 30. April, lief bei SWR Aktuell Rheinland-Pfalz ein Beitrag über das Buchprojekt und dessen öffentliche Vorstellung:

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