„Zerstört, besiegt, befreit – Mainz 1945“, so lautete der Titel einer Ausstellung des Mainzer Stadtarchivs, mit der im Jahre 2005 zum 60. Jahrestag an die Zerstörung der Stadt Mainz und das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert werden sollte. Nun, 15 Jahre später, zum 75. Jahrestag, zu einer Zeit also, in der nahezu alle Zeitzeugen verstorben sind, stellt sich die Aufgabe einer angemessenen Erinnerung den nächsten Generationen aufs Neue, wenn auch auf andere Weise.
In diesen Tagen wird in Büchern, Zeitungen/Zeitschriften und im Fernsehen mit vielen Beiträgen insbesondere an die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges erinnert. In Mainz steht traditionell das Erinnern an den letzten großen Bombenangriff am 27. Februar 1945 im Zentrum, bei dem circa 80 Prozent der Innenstadt völlig zerstört wurde und rund 1.200 Menschen den Tod fanden. Der 8. Mai 1945 als offizielles Datum der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht (wenige Tage nach dem Selbstmord des „Führers“ Adolf Hitler am 30. April) hat sich in Mainz weniger ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben, vielleicht weil für die Mainzer Bevölkerung der Krieg schon am 22. März mit dem Einmarsch der Amerikaner zu Ende war. Als Befreiung von der bedrückenden Herrschaft des verbrecherischen NS-Regimes, als Ende des mörderischen Krieges, mögen auch diejenigen das Kriegsende empfunden haben, die lange Zeit überzeugte Anhänger oder Mitläufer der NSDAP waren.
Wie schon anlässlich früherer Gedenktage besteht auch heute die Gefahr, dass dabei der Fokus allein auf die unter dem Bombenkrieg leidende deutsche Zivilbevölkerung der Mehrheitsgesellschaft gerichtet und das Leid sowohl der Bevölkerung der zuvor von Hitler-Deutschland überfallenen Länder, als auch der in Deutschland während des Krieges aus unterschiedlichen politischen und rassistischen Gründen verfolgten Minderheiten und zum Beispiel der Zwangsarbeiter*innen ausgeblendet wird. Immer wieder versuchen insbesondere rechtsextremistische und rechtspopulistische Gruppierungen die Empathie für die deutschen (und Mainzer) Opfer des Bombenkriegs für ihre politischen Ziele zu missbrauchen. Es bleibt also wichtig, immer wieder auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Errichtung der NS-Diktatur und dem von Deutschland in den europäischen Nachbarländern begonnenen und dann nach Deutschland zurückkehrenden Krieg hinzuweisen.
Wir tun dies, indem wir hier auf eine gemeinsam vom Verein für Sozialgeschichte Mainz e.V. und dem Stadtarchiv Mainz im Auftrag der Stadt Mainz herausgegebene Publikation hinweisen und daraus das Herausgeber-Vorwort und den Text des renommierten Jenaer Zeithistorikers Prof. Dr. Norbert Frei zur Verfügung stellen.
Berkessel, Hans (Hrsg. im Auftrag der Stadt Mainz, des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e.V. und des Stadtarchivs Mainz): „Die Gegenwart der Vergangenheit“ – Dokumentation anlässlich des 60. Jahrestages der Zerstörung der Stadt Mainz und des Endes des Zweiten Weltkrieges: 27. Februar 2005 – 27. Februar 1945, Mainz 2005, 82 Seiten, ISBN: 1435-8026, Sonderpreis: 5,00 €.
Das Heft kann unter kontakt@sozialgeschichte-mainz.de bestellt oder über den Buchhandel bezogen werden.
Foto: Blick vom Dom auf die zerstörten Häuser der Innenstadt, besonders Markt, Schusterstraße und Umgebung, nach dem 27.02.1945. Bildmitte: St. Quintin, (c) Heinrich Doerr