„Historisches Mainz“: Neue Stele zum Gedenken


Foto: Die neu enthüllte Gedenkstele auf dem Ernst-Ludwig-Platz in Mainz (© HdE)

Gestern, am 21. Juli 2021, wurde auf dem Ernst-Ludwig-Platz in Mainz eine neue Stele zum Gedenken an die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität und/oder sexuellen Orientierung in der Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit enthüllt.

Der Mainzer Stadtrat hatte in einer Sitzung am 13. Februar 2019 einstimmig beschlossen, die Reihe „Historisches Mainz“ um eine Gedenkstele für diese Opfergruppe zu erweitern. Das Besondere an dieser neuen Stele ist, dass sie einen Bezug zu der Beibehaltung des § 175 StGB in der Nachkriegszeit herstellt. Dabei bildet sie bundesweit den ersten Erinnerungsort, an dem allen Opfern mit LSBTIQ-Hintergrund gleichzeitig gedacht wird.

Gemeinsam mit Mainzer Vereinen und Initiativen aus dem LSBTIQ-Bereich sowie auch der Stiftung „Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz“ wurde in Übereinstimmung mit dem Land Rheinland-Pfalz eine geeignete Inschrift für die Gedenkstele erarbeitet.

Totgeschlagen. Totgeschwiegen.
Männer, die Männer liebten, Frauen, die Frauen liebten, und Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht der vorherrschenden Norm entsprach, wurden in der nationalsozialistischen Diktatur erniedrigt, verfolg und ermordet. In der jungen Bundesrepublik sind die Verbrechen an ihnen verschwiegen worden. Schwule Männer wurden in Anwendung des verfehlten § 175 Strafgesetzbuch weiterhin von Polizei und Justiz strafrechtlich belangt und verurteilt. Frauen konnten keine lesbische Beziehung eingehen, ohne schwerwiegende Nachteile wie die fehlende Existenzsicherung oder den Verlust der Kinder zu riskieren. Menschen, deren Lebensführung, sexuelle Orientierung und gelebte Geschlechtsidentität nicht den gesellschaftlichen Normen entsprachen, wurden verachtet, diskriminiert und ausgegrenzt.
Wir erinnern an alle Menschen, denen für ihre Art zu lieben und zu leben großes Leid angetan wurde oder die dafür sterben mussten. In vielen Staaten geschieht das noch immer. Auch in der Bundesrepublik gibt es bis heute Einstellungen, Strukturen und Gesetze, die Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transidente, intergeschlechtliche und Queere (LSBTIQ) benachteiligen. Nur unser fortwährender Einsatz hilft, dies zu verändern. Die Menschenrechte brauchen stets und überall unseren Schutz, damit wir alle frei und selbstbestimmt leben können.“


Bei der Enthüllung sprachen Oberbürgermeister Michael Ebling, Landtagspräsident Hendrik Hering, Familienstaatsministerin Katharina Binz sowie Joachim Schulte, Sprecher von Queernet Rheinland-Pfalz. Dabei machten sie alle deutlich, dass diese neue Gedenkstelle Ort der Erinnerung und Mahnung zugleich ist. Katharina Binz: „Die Gedenkstele ist damit zugleich Erinnerung an die Opfer staatlichen Handelns aber auch Mahnung an den Staat. Die Universalität der Menschenrechte für lesbische, schwule, bisexuelle, transidente, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen darf in Deutschland nie wieder in Frage stehen.“ Zugleich verwiesen alle Redner*innen auf die Verstöße gegen die Menschenrechte und die fortdauernde Ausgrenzung und Verfolgung von LSBTIQ-Personen in europäischen Nachbarstaaten wie Polen oder Ungarn. Nun wurde die neue Gedenkstele auf dem Ernst-Ludwig-Platz gemeinsam enthüllt. Gerade dieser gewählte Ort – vor den Gebäuden des Land- und Amtsgerichtes – steht für das Weiterwirken des § 175 in der Bundesrepublik sowie die Beteiligung der Justiz über die Strafgerichtsbarkeit mit erfolgten Verurteilungen nach § 175 StGB.

Die Forschung zur Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität und/oder sexuellen Orientierung durch das NS-Regime steht erst am Anfang. Die Stiftung „Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz“ hat mit Dr. Kirsten Plötz eine renommierte Historikerin auf diesem Themengebiet engagiert, um ein Forschungsprojekt für diese Opfergruppe aus Mainz durchzuführen. Noch in diesem Jahr soll das Projekt mit der Erstellung eines wissenschaftlichen Faltblattes zu der neu enthüllten Gedenkstele der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Zudem sieht die Landeshauptstadt Mainz vor, gemeinsam mit der Stiftung „Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz“ den Pfad der Erinnerung um den neuen Gedenkort zu erweitern und neu aufzulegen.

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