Gestern vor 84 Jahren wurden im gesamten Deutschen Reich Wohnungen und Geschäfte jüdischer Menschen verwüstet und zerstört; Synagogen geschändet und in Brand gesetzt – so auch in Mainz. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in Mainz sowohl die orthodoxe Synagoge in der Flachsmarktstraße als auch die Hauptsynagoge in der Hindenburgstraße zerstört. Die Hauptsynagoge wurde zunächst von SS-Männern geplündert, ehe sie dann die Inneneinrichtung in Brand setzten. Fanatische Anhänger*innen der NS-Bewegung zogen in dieser Nacht durch die Mainzer Straßen, verwüsteten und plünderte Geschäfte udn Wohnungen jüdischer Menschen und misshandelten zahlreiche jüdische Familien. Viele jüdische Männer wurden verhaftet und in Konzentrationslager wie Buchenwald oder Dachau gebracht. Der 9. November 1938 war für viele jüdische Menschen ein Wendepunkt: Hatten viele von ihnen bis dahin noch geglaubt, in ihrer Heimat bleiben zu können, änderte sich dies mit den Ereignissen dieser Nacht.
Der 9. November ist ein wichtiges und zugleich in seiner Bedeutung sowie in der Erinnerungskultur ein ambivalentes Datum, ja dieser Tag gilt vielen als der „Schicksalstag“ der deutschen Geschichte. Er markiert in der November-Revolution 1918 mit der Ausrufung der Republik den Beginn der Weimarer Demokratie; er ist die von den Nationalsozialisten rituell gefeierte Erinnerung des (gescheiterten) Hitler-Ludendorff-Putsches 1923 in München und in deren Folge Ausgangs- und Höhepunkt der von München aus inszenierten November-Pogrome 1938 und schließlich der Tag der Öffnung der innerdeutschen Grenze, des Mauerfalls am 9. November 1989, der zum weltweiten Symbol der Wiedervereinigung Deutschlands wurde.
Gestern gedachten wir vor allem der jüdischen Opfer der Pogromnacht und der Shoah. Denn vor 80 Jahren, im März und im September des Jahres 1942 fanden in Mainz drei große Deportationen jüdischer Menschen statt. Vor aller Augen wurden die Menschen zum Güterbahnhof in der Mombacher Straße geführt, von wo aus Sonderzüge der Reichsbahn sie in die Konzentrations- und Vernichtungslager brachten. Nur Wenige konnten die Shoah überleben und kehrten eines Tages nach Mainz zurück.
Anlässlich des 9. November fand gestern in der Neuen Synagoge Mainz eine Gedenkstunde statt. Neben den Ansprachen von Kulturdezernentin Marianne Grosse und der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Anna Kischner, waren vor allem die musikalischen Beiträge, vorgetragen von der Sopranistin Natasha Goldberg, sehr bewegend. Im Anschluss begaben wir uns gemeinsam mit der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen und Vertreter*innen der Stadt Mainz sowie Minister*innen des Landes Rheinland-Pfalz auf einen Schweigemarsch. Dieser führte uns zunächst zur Goetheschule, in deren Innenhof Schüler*innen der BBS Sophie-Scholl Auszüge aus den Erinnerungen Überlebender vortrugen. Die Turnhalle der Goetheschule war einst eine der Sammelstellen für jüdische Menschen, ehe sie deportiert wurden.
Der weitere Schweigemarsch, an dem mehrere hundert Menschen teilnahmen, führte uns zum neu entstehenden Gedenkort „Deportationsrampe“ in der Mombacher Straße. Hier wurde zunächst durch Kulturdezernentin Marianne Grosse das Konzept des Gedenkortes vorgestellt. Abschluss bildete das Gebet „El Male Rahamim“, das von Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky vorgetragen wurde, und in dem den Opfern der Shoah gedacht wird.