Nachbericht: Anna Seghers: Frau, Mutter, Schriftstellerin, Widerstandskämpferin – Vortrag von Hans Berkessel und Lesung mit Gaby Reichardt am 24.01.23


Am 24. Januar fand in den Mainzer Kammerspielen eine Veranstaltung zu Anna Seghers statt. Vielen Dank, dass wir die beeindruckenden Räume nutzen durften, die dem Vortrag und der Lesung ein angemessenes Ambiente gegeben haben. Schon Christa Wolf bemerkte über die Schriftstellerin:

„Anna Seghers: Deutsche, Jüdin, Kommunistin, Schriftstellerin, Frau, Mutter […]. So viele einander widersprechende, scheinbar einander ausschließende Identitäten, so viele tiefe, schmerzliche Bindungen, so viele Angriffsflächen, so viele Herausforderungen und Bewährungszwänge, so viele Möglichkeiten, verletzt zu werden, ausgesetzt zu sein, bedroht bis zur Todesgefahr. […]“


Diesen verschiedenen Identitäten im Leben der Schriftstellerin versuchte der Vortrag von Hans Berkessel, Historiker, Pädagoge und Vorsitzender der Stiftung Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz, nachzuspüren und zugleich einen exemplarischen Blick auf die Frauenfiguren in ihren Werken zu werfen. Anschließend las die bekannte Schauspielerin Gaby Reichardt aus einem Werk von Anna Seghers. Im Band mit dem programmatischen Titel „Die Kraft der Schwachen“ (1965) wird von einfachen Menschen, die im Stillen wirken, vom lautlosen Widerstand derer, von deren Leben keine Geschichtsschreibung berichtet, erzählt. So wird die Geschichte von „Agathe Schweigert“, der rheinhessischen Ladenbesitzerin aus „der kleinen Stadt Algesheim“, die ihrem Sohn nach Spanien in den Bürgerkrieg folgt und sich dort im Kampf gegen den Faschismus engagiert, zum Beispiel der Unzerstörbarkeit des Humanen, das in den Unterdrückten aller Zeiten lebt.


Die Veranstaltung begann mit einem Grußwort von Franziska Hendrich, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Pädagogik im Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz, gefolgt von einer Begrüßung durch Hans-Willi Ohl, dem Vorsitzenden der Anna Seghers Gesellschaft Berlin und Mainz e. V. Anschließend führte Hans Berkessel die verschiedenen Rollen aus, die Anna Seghers in ihrem Leben innehatte oder die ihr zugeschrieben wurden. So wurde sie oft als Autorin mit „männlicher“ Erzählweise oder Blick bezeichnet, was auf den ersten Blick im Kontrast zu stehen scheint mit ihrer Rolle als Frau. Die zum Teil als Kritik und zum Teil als Kompliment gemeinte Zuschreibung wurde von ihm kritisch hinterfragt und als Beweis für ihr außerordentliches Schreibtalent gesehen. Als zweites schaute er auf ihre Rolle als Schriftstellerin und Mutter und wie sie diese in ihrem schwierigen von Flucht gezeichneten Leben vereinte. Auch ihre Rolle als Tochter wurde thematisiert und wie sie versuchte, ihre Mutter vor der Ermordung durch die Nazis zu bewahren, was ihr leider nicht gelang. Zum Schluss wurde ein Blick auf ihre Rolle als Widerstandskämpferin geworfen und welche Projekte sie wie unterstützte. Anschließend wurden exemplarische Frauenfiguren aus ihrem Roman besprochen. Sie zeigen auf, wie veränderbar Menschen durch ihre Lebensumstände sind und dass ihnen, wie den männlichen Charakteren, die Entscheidung bevorstand, ob sie sich auf die Seite der Nationalsozialisten stellten oder gegen sie.


Die circa einstündige Lesung von Gaby Reichard nahm die Zuschauenden mit auf die Reise einer Frau, die sich auf die Suche nach ihrem vor den Nazis geflohenen Sohn machte und bis nach Spanien in den Bürgerkrieg führte. Die packende Art des Vorlesens lies die Zeit rasch vergehen und als die Lesung endete, konnte man den circa 65 Zuschauenden anmerken, wie schwer es fiel, wieder in das Hier und Jetzt zurückzukehren und die erlebten Gefühle abzuschütteln. Einen großen Dank hierfür an Frau Reichardt.

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