Diese Veranstaltung zu Wolf Biermann und Israel fand in Kooperation mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Mainz und im Rahmen unserer kleinen Reihe zur DDR Geschichte statt.
Wolf Biermann, geboren am 15. November 1936 in einer kommunistischen Arbeiterfamilie in Hamburg, ist einer der bekanntesten Liedermacher und Schriftsteller Deutschlands. Seine Gedichtbände zählen zu den meistverkauften der deutschen Nachkriegsliteratur und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Biermann war die scharfzüngigste Stimme des Widerstands in der DDR und wurde 1965 von der DDR-Nomenklatura mit einem totalen Publikations- und Auftrittsverbot belegt, seine Werke durften nur in der Bundesrepublik erscheinen. Als er im November 1976 aus der DDR ausgebürgert wurde, schrieb er unfreiwillig Weltgeschichte: Die unerwartet große Protestbewegung in Ost und West gilt als Anfang vom Ende der DDR. Mit seinen oft provokanten Essays mischt sich der mit allen wichtigen Literaturpreisen geehrte Biermann bis heute ins politische Tagesgeschäft ein. An diesem Abend widmete sich Uwe von Seltmann einem Aspekt in Biermanns Leben und Werk, der in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist: Wolf Biermanns Jüdischsein und seiner engen Verbindung zu Israel. Biermanns Vater Dagobert, ein kommunistischer Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten, wurde 1943 in Auschwitz als Jude ermordet. Der „jüdische Mischling ersten Grades“ Wolf Biermann hingegen überlebte den ‚Rassenwahn‘ der Nationalsozialisten. Wie sieht sich Biermann selbst, der in dem Lied „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu?“ geschrieben hat: „Ich bleibe, was ich immer war / Halb Judenbalg und halb ein Goj“? Wie hat die Freundschaft mit dem Auschwitz-Überlebenden und Historiker Arno Lustiger (1924–2012) Biermanns Leben verändert? Welche Bedeutung hat die jiddische Sprache für ihn? Und wie kam es zu Biermanns ausgeprägter Solidarität mit Israel, die ihn 2006 sagen ließ: „Israels Schicksal sehe ich als ein Menetekel für die Völkerfamilie auf diesem winzigen Planeten Erde“? Diese Fragen standen im Zentrum des Abends.
Zunächst wurden die rund 25 Teilnehmenden von unserer Referentin für Pädagogik und Öffentlichkeitsarbeit, Franziska Hendrich, begrüßt. Nach einer Begrüßung von Anke Joisten-Pruschke, der Vorsitzenden der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Mainz, wurde das Wort an Uwe von Seltmann übergeben.
Als erstes beschäftigte er sich mit der Frage, ob Wolf Biermann, der nach dem traditionellen jüdischen Gesetz mit dem Mutterprinzip nicht als jüdisch angesehen worden wäre, sich selbst aber als jüdisch definierte. Hierzu wurden zunächst verschiedene allgemeine Auffassungen und Ansichten aufgeführt, bevor einige Zitate von Biermann selbst und eines seiner Lieder vorgestellt wurden, in denen er sich als Jude bezeichnete . Vor dem Hintergrund seiner Familiengeschichte wurde aufgezeigt, dass viele seiner jüdischen Verwandten, die ihn in den Glauben und die Traditionen hätten einführen können, im Holocaust ermordet worden waren. Gleichzeitig verdeutlichte von Seltmann, dass Biermanns Mutter und später auch sein Vater Kommunist*innen waren und er somit vor allem vor diesem Hintergrund aufwuchs. Dennoch widmete Biermann in seinem Buch ein ganzes Kapitel dem Thema Gott und bemerkt, dass alle Menschen, die ihn hätten jüdisch machen können, tot seien und er somit einfach nur ein Mensch geworden sei. Besonders das Schicksal seines Vaters und dessen Tod in Auschwitz begleiteten Wolf Biermann ein Leben lang und beeinflussten viele seiner Entscheidungen, so auch seine wehrhafte Haltung in der DDR. Sein Vater habe sein Leben aufs Spiel gesetzt und somit solle Wolf Biermann wenigstens sein eigenes Wohlleben aufs Spiel setzen.
Des Weiteren berichtete Uwe von Seltmann von Biermanns Erfahrungen während des Krieges und wie er und seine Mutter die Bombenangriffe als Himmelsgeschenke hinnahmen. Sie gab ihm den Auftrag seinen Vater zu rächen. Diesen Auftrag wollte er in der DDR zunächst erfüllen, indem er den Kommunismus mit aufbaute. Auch diese Erfahrungen und sein Gefühl zunächst ins gelobte Land gekommen zu sein arbeitete er in Liedern auf. Doch gerade im Lied „Nur wer sich ändert bleibt sich treu“ findet man sein Bekenntnis zu seinem jüdischen Erbe.
Nach einer kurzen Pause, die bei einem Glas Wein zu regen Diskussionen anregte, widmete sich Uwe von Seltmann besonders Biermanns Freundschaft zu Arno Lustiger. Es wurde von ihrem Kennenlernen und gemeinsamen Arbeiten berichtet. Anschließend gab es einen kleinen Exkurs in die jiddische Sprache, wobei u.a. solche Worte beleuchtet wurden, die wir auch heute noch in unserem Sprachgebrauch nutzen. Dazu wurde das Lied „Es brennt“ von Wolf Biermann abgespielt und in dessen Hintergrundgeschichte und Bedeutung eingeführt.
Abschließend wurde sich der Frage nach Biermanns Verhältnis zu Israel gewidmet und ein Augenmerk auf seinen Zeit-Artikel „Kriegshetze, Friedenshetze“ zum Beginn der damaligen Kampfhandlungen in Kuwait und im Irak gelegt. Hiermit brach Biermann mit der Friedensbewegung und einigen linken Freund*innen, indem er deutlich machte, dass auch er nur leben konnte, weil damals bewaffnete Soldaten in Deutschland einmarschiert waren und sie befreit hatten. Biermann stellte sich eindeutig gegen eine Schuldumkehr zu Lasten Israels und verdeutlichte noch einmal, dass für ihn die englischen Bomben damals auch Himmelsgeschenke waren, da er unter dem gelben Stern geboren worden sei. Nach einigen Einordnungen und Zitaten ging Uwe von Seltmann auch auf die aktuelle Lage Israels seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und Biermanns Stellung dazu ein. Hierzu zeigte er ein aktuelles Video eines Auftrittes von Biermann. Darin machte er deutlich, dass auch er dafür sei, dass sich die Palästinänser*innen befreien, womit er die Befreiung von der Terrorgruppe Hamas meine. Dies könnten sie jedoch nicht alleine durch Israel schaffen, sondern müssten sich dieser Terrorgruppe selbst entledigen. Mit der Hilfe von arabischen Staaten könne laut der Botschaft in Biermanns Video die Chance auf Erfolg gesteigert werden.