Nachbericht: Hier bin ich – Wir sind hier. Unsere Wegbeschreibungen | Ein Diskussionsabend

Unter dem Titel „Hier bin ich – Wir sind hier. Unsere Wegbeschreibungen“ hatten wir gemeinsam mit der Landeshauptstadt Mainz und der Stiftung Juvente Mainz zu einem Diskussionsabend in unser Haus eingeladen. Geflüchtete Menschen unterschiedlicher Herkunft schilderten an diesem Abend ihre Geschichten und kamen dabei, unter der Moderation von Fatma Polat, der Gründerin und Vorsitzenden des Vereins Arc-En-Ciel, besonders über Herausforderungen und gelungene Hilfen auf ihrem Weg bis nach Mainz ins Gespräch.



Eines ist unseren drei Podiumsgästen gemein: Sie sind froh heute in Deutschland leben zu können, sie fühlen sich wohl, doch das Gefühl des wirklichen Angekommenseins hat sich noch nicht einstellen wollen – zumindest noch nicht ganz. Majid konnte 2019 aus gesundheitlichen Gründen mit einem offiziellen Visum per Flugzeug aus dem Iran nach Deutschland einreisen. Für den damals 35-jährigen folgte eine 15-monatige Zeit des Reisens quer durch Deutschland: Von Hamburg über Bochum, Bonn, Speyer und Ingelheim bis schließlich vor drei Jahren nach Mainz. Das schwierigste für ihn sei die Zeit des Wartens gewesen, nicht zu wissen, ob man in diesem Land bleiben dürfe, nicht zu wissen, wie es weitergeht. Mittlerweile fühle er sich in Deutschland zwar noch nicht angekommen, im Dorf Mainz jedoch schon. Für ihn komme es vor allem auf die Menschen an, die einen umgeben. So sei Mainz nun seine neue Heimat und neu gewonnene Freunde seine Wahlfamilie. Was jetzt nur noch fehle, um sich wirklich angekommen zu fühlen, sei die deutsche Staatsangehörigkeit.

„Begonnen hat alles, als der Krieg nach Aleppo kam“, so begann die Geschichte von Aram, der als kurdischer Jurastudent seine Heimat Syrien verlassen musste. Die Familie entschied sich dazu, zunächst Arams Frau und deren Bruder mit Tochter nach Deutschland zu schicken. 2016 kamen sie so auf illegalem Weg nach Deutschland. Als große Herausforderung sieht er vor allem die deutsche Bürokratie. In Aleppo eine Wohnung zu mieten oder eine Baugenehmigung zu bekommen, sei eine Sache von wenigen Tagen; in Deutschland hingegen habe er täglich mehrere Briefe von Ämtern bekommen und alle Schritte hätten sehr lange gedauert. So kam es auch zu der merkwürdigen Situation, dass er, der erst über ein Jahr nach seiner Frau nach Deutschland kam, seinen Aufenthaltstitel dennoch vor ihr erlangte. Sehr eindrücklich schilderte Aram auch die ersten Kontakte mit der deutschen Sprache in Deutschland. Die Dialekte, denen er hier begegnete, seien nach seinen Deutschunterrichtsstunden ein Schock für ihn gewesen. Als ihn ein Kollege und Freund fragte „Wolle mer eene rooche?“ habe er noch weitere drei Mal nachfragen müssen, ehe er verstanden habe, was diese Worte bedeuteten. Auch Aram hob hervor, wie wichtig die Hilfe von Ehrenamtlichen für ihn und seine Familie gewesen sei und zeichnete dabei ein wunderbares Bild: Die Gesellschaft sei wie ein gemeinsamer Garten, auf den man achten müsse und um den man sich kümmern müsse, damit er schön sei, sonst würde er verwildern und seine Schönheit verlieren.

„Am Anfang war ich komplett allein und wusste nichts darüber, wie die Dinge in Deutschland ablaufen.“, so schilderte Sandra ihr Ankommen als achtjähriges Mädchen aus Syrien. Heute ist sie Schülerin am Gutenberggymnasium und erinnert sich, wie ihr Vater ihr mitteilte, dass sie ausziehen müssen – als letzte Familie, die noch in der Straße in Syrien gelebt hatte. Den Weg durch verschiedene Länder wie Irak, Iran und Bulgarien habe die Familie zu Fuß zurückgelegt. Nachdem sie aufgrund ihrer illegalen Einreise nach Deutschland in München aufgegriffen wurden, gelangten sie schließlich über mehrere Städte nach Mainz. Dass alle Menschen irgendwie anders aussahen, ließ Sandra sich verloren fühlen. Enorm wichtig auf ihrem Weg waren Bezugspersonen. In ihrem Fall war es ein ehrenamtlich engagiertes Ehepaar aus Mainz, das im Laufe der Zeit zu ihrer Familie wurde. Durch sie habe sie Unterstützung bekommen, sodass sie in der Schule mitkam und die alltäglichen Herausforderungen meistern konnte. Auf die Frage, ob sie sich angekommen fühlt, antwortete Sandra vorsichtig. Sie fühle sich keiner Nation so wirklich zugehörig und obwohl sie sich in Deutschland sehr wohl fühle und froh sei, dass ihr Vater sich damals dazu entschieden hat, nach Deutschland zu fliehen, fühle sie sich noch immer etwas unpassend und fremd.

Fatma Polat zeichnete gleich zu Beginn der Diskussion das Bild, dass sie zwischen zwei Stühlen sitze. So könne sie als Kind türkischer Gastarbeiter*innen eigene Erfahrungen, aber auch als Vorsitzende des Vereins Arc-En-Ciel die institutionelle Perspektive in das Gespräch mit einbringen. Auch sie hob hervor, dass ehrenamtlich Engagierte enorm wichtig für die Integration geflüchteter Menschen sind, vor allem, wenn sie die Neuangekommenen mit ihren jeweiligen Eigenarten annehmen und ihnen ohne erhobenen Zeigefinger begegnen.

Miguel Vicente, Beauftragter der Landesregierung für Migration und Integration, schaltete sich ebenfalls in die Diskussion ein, da er sich in vielen Geschichten wiedererkennen könne. Er selbst sei als Kind spanischer Gastarbeiter*innen mit fünf Jahren nach Deutschland gekommen. Er griff das Bild der zwei Stühle von Fatma Polat auf und sagte, dass es einen dritten Stuhl brauche für etwas Eigenes, das mehrere Identitäten widerspiegeln könne.

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