Die Filmemacherin Barbara Trottnow beschäftigt sich in ihren Werken – darunter „Emine aus Incesu“, „Katharina oder: Die Kunst Arbeit zu finden“ oder „Visiting the Past – Von New York nach Essenheim“ – mit komplexen Themen wie Migration, Selbstbestimmtheit oder Vergangenheitsbewältigung. Wir sprechen mit ihr über ihre Werke und die Notwendigkeit, besonders Frauen und deren Geschichten in den Fokus zu stellen.
Interview: Dr. Cornelia Dold & Janika Schiffel | September 2020
Zur Person
Barbara Trottnow ist Filmemacherin. Studiert hat sie Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen. Manche sagen, das merke man ihren Filmen an, sie recherchiert immer sehr gründlich und versucht, die gesellschaftlichen Dimensionen auch in vermeintlich kleinen Geschichten auszuloten. Das Filmemachen hat sie überwiegend in der Praxis gelernt, aber auch während eines Volontariats beim Hessischen Rundfunk. Danach hat sie als Autorin mit einem Schwerpunkt auf bildungspolitischen Themen vor allem für das ZDF gearbeitet. Um nicht mehr in strikte Formatvorgaben gedrängt zu werden und freier arbeiten zu können, machte sie sich selbstständig. So konnte und kann sie längere Filme realisieren und so ihren Geschichten eine angemessene Länge und Form geben. Heute ist Barbara Trottnow bei ihren Filmen nicht nur Autorin und Regisseurin, sondern auch für die Produktionsleitung verantwortlich. Alle Informationen über Barbara Trottnow und ihre Werke finden sich auf ihrer Homepage.
(Foto: Alexander Sell)
In Ihren Werken – häufig Dokumentarfilme – beschäftigen Sie sich mit vielfältigen Themen wie Migration, Integration oder auch Umweltschutz. Wie wählen Sie Ihre Schwerpunkte aus und an welchen Projekten arbeiten Sie momentan?
Ich habe mich in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Thema Migration befasst. Oft ergibt sich dabei ein Film aus dem anderen. Meine Dokumentarfilme „Emine aus Incesu“ und „Deutsch aus Liebe“ widmen sich der Migration von der Türkei nach Deutschland, in „Eduard Zuckmayer – Ein Musiker in der Türkei“ beschreibe ich eine Migration in umgekehrter Richtung. Der ältere Bruder von Carl Zuckmayer ging 1936 in die Türkei, nachdem die Nazis ihm in Deutschland Berufsverbot erteilt hatten und blieb dort bis zu seinem Tod im Jahr 1972. Auch „Visiting the Past – Von New York nach Essenheim“ ist für mich eine Migrationsgeschichte. In dem Film begleitete ich Joan Salomon bei einem Besuch in Essenheim – dem Ort, aus dem ihre jüdische Familie 1934 vertrieben wurde. Sie sucht in dem Weindorf nach ihren Wurzeln und kann sich vorstellen, dort zu leben. Migration ist ja kein einmaliger Vorgang in nur eine Richtung, sie kann sich umkehren, unfreiwillig erfolgen oder freiwillig, mit dem Wunsch nach Rückkehr oder Neubeginn. Migration kann bedeuten, die Heimat zu verlassen, aber auch in sie zurückzukehren. Gerade in diesen Zeiten scheint es mir besonders wichtig, die damit verbundenen Probleme, aber auch Chancen immer wieder neu zu beleuchten und so voreiligen Urteilen entgegenzuwirken.
Aber mich interessieren auch andere Themen. Seit vielen Jahren beobachte ich in der Türkei die Situation an einem Niststrand der vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten. Naturschützer*innen verhinderten zwar, dass dort eine Hotelanlage gebaut wurde, aber die Tourist*innen kommen trotzdem und wollen das ‚gerettete Paradies‘ sehen und genießen. Die in diesem von der Corona-Pandemie geprägten Jahr verhängten Reisebeschränkungen haben dazu geführt, dass die Zahl der Schildkrötennester am Strand so hoch ist wie noch nie! Aber die Menschen vor Ort leiden, weil sie inzwischen auf die Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen sind.
Aktuell arbeite ich an einer interaktiven Website, über die mein Film zu Eduard Zuckmayer auf neue, hoffentlich spannende Art zugänglich sein wird, und die auch auf die Zeit eingeht, bevor der Musiker in die Türkei ging.
Auf ihrer diesjährigen Sommertour trafen Sie sich mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz. Warum wählten Sie gerade diesen Ort für Ihr Treffen aus?
Normalerweise erwartet man, dass ein solches Treffen dort stattfindet, wo die Filme produziert werden, am Drehort oder im Postproduktionsstudio. Aber für mich ist auch von großer Bedeutung, wo meine Filme gezeigt werden, sie sollen ja ein möglichst großes und vielfältiges Publikum finden. Das können Kinos sein, aber eben auch Orte wie das Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz. Mit seinem Anspruch, nicht nur ein Gedenkort zu sein, an dem wir zurückschauen in die Vergangenheit, sondern auch ein Ort der Begegnung, an dem wir nach vorne schauen in die Zukunft, ist dafür ideal geeignet. Und es wurden dort ja auch schon mehrfach Filme von mir gezeigt. Ganz wichtig bei meinem Vorschlag, das Treffen im HdE stattfinden zu lassen, war auch, dass dort Wert auf eine gute technische Ausstattung gelegt wird. So konnten wir der Ministerpräsidentin in optimaler Bild- und Tonqualität und auf einer großen Leinwand einen Ausschnitt aus meinem Film „Katharina oder: Die Kunst Arbeit zu finden“ (nach einem Drehbuch von Anna Seghers) zeigen.
Auch wenn Filme heute online angeboten werden und fast überall verfügbar sind, auf dem Smartphone, dem Tablet oder dem Laptop, so macht es doch einen großen Unterschied, einen Film gemeinsam anzusehen, die Reaktionen der anderen Zuschauer*innen mitzuerleben und Eindrücke zu teilen. Wenn dann noch im Anschluss ein Gespräch, eine Diskussion möglich ist, kann der Film die Anstöße geben, die Denkprozesse auslösen, die ich mir als Filmemacherin wünsche. Und so hoffe ich, dass die Ministerpräsidentin und andere Politiker*innen auch in Zukunft sehen, wie wichtig Lernorte wie das HdE sind und wie bedeutsam es auch ist, dass sie technisch gut ausgestattet sind. Denn erst auf einer großen Leinwand mit guter Bild- und Tonqualität wird ein Film zu einem richtigen und lange nachwirkenden Erlebnis.
Bereits im März 2020 stellten Sie Ihren Film „Katharina oder: Die Kunst Arbeit zu finden“ im Haus des Erinnerns vor. Im Film beleuchten Sie die Geschichte von Maria Einsmann, die in Mainz jahrelang unerkannt als Mann „getarnt“ in Männerkleidung arbeitete. Auch die Benennung eines Platzes in der Mainzer Innenstadt in „Maria-Einsmann-Platz“ rückte ihre Geschichte in die breite Öffentlichkeit Warum war es für Sie wichtig, gerade diese Geschichte zu erzählen?
Ich habe mich sehr gefreut, dass das Frauenbüro der Stadt Mainz diesen Film am 8. März, als Beitrag zum Internationalen Frauentag im HdE gezeigt hat. Ich habe ihn vor 25 Jahren realisiert. Damals war ich auf ein Drehbuch von Anna Seghers aufmerksam geworden, in dem es um eine berufstätige Frau in Männerkleidern geht. Die Idee dafür lieferte der Schriftstellerin eine wahre Geschichte aus Mainz, ihrer Geburtsstadt. Als dort 1931 herauskam, dass Maria Einsmann zwölf Jahre lang als Mann gearbeitet hat, setzte ein großer Medienrummel ein, und Anna Seghers hat in ihrem Pariser Exil einen der Zeitungsartikel gelesen. Für meinen Film „Katharina oder: Die Kunst Arbeit zu finden“ habe ich seinerzeit Spielszenen aus dem Drehbuch mit dokumentarischen Anmerkungen verknüpft, um zu zeigen, wie schwer es für Frauen sein kann, Arbeit zu finden. Das galt übrigens auch für Anna Seghers, die im Pariser Exil den Lebensunterhalt für ihre zwei kleinen Kinder verdienen musste. Aber schon damals faszinierte mich die ‚echte‘ Geschichte der Maria Einsmann ganz besonders. Zwölf Jahre lang war niemandem aufgefallen, dass der fürsorgliche Familienvater Joseph Einsmann eine Frau war und eigentlich Maria hieß. In meinem neuen Film werde ich ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte nun rein dokumentarisch erzählen. Bei der Trennung von ihrem Mann nahm Maria Einsmann seinen von ihr bezahlten Anzug mit, entdeckte darin seine Papiere und lebte von da an mit seiner Identität. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sie ihre Arbeit in einer Munitionsfabrik verloren und war daraufhin mit ihrer Freundin Helene Müller nach Mainz gegangen. Dort gaben die beiden Frauen sich als Ehepaar aus und Maria Einsmann fand als Joseph eine gut bezahlte Stelle. Nach der Enttarnung wurde den beiden Frauen der Prozess gemacht, aber auch viel Hochachtung entgegengebracht. Der Film wird erneut fragen, 25 Jahre nach dem Dreh zu „Katharina oder: Die Kunst Arbeit zu finden“, wie weit müssen Frauen gehen, um Arbeit zu finden? Warum werden Frauen noch immer schlechter bezahlt als Männer? Aber auch, was müssen Frauen tun, um ein eigenständiges Leben führen zu können?
Frauen spielen in Ihren Filmen häufig eine herausragende Rolle. Was brachte Sie dazu, gerade Frauen in den Fokus Ihrer Filme zu stellen?
Ja, das stimmt, Frauen kommen in meinen Filmen immer an herausgehobener Stelle vor. Vielleicht fällt das so auf, weil es sonst oft nicht so ist. Denn nicht nur hinter der Kamera gibt es viel weniger Frauen als Männer, sei es als Regisseurin oder als Kamerafrau, übrigens auch beim Dokumentarfilm, vor allem wenn große Etats vorhanden sind. Auch vor der Kamera spielen Frauen oft nur Nebenrollen, sind sie nicht diejenigen, die die Handlung bestimmen und viel zu sagen haben, und auch das nicht nur im Spielfilm. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Männer fast überall die wichtigeren und sichtbareren Posten besetzen und daher als Experten mehr gefragt sind.
Dabei sind es gerade Frauen, die ungewöhnliche Geschichten zu erzählen haben. Aber sie werden schnell übersehen, weil sie sich nicht in den Vordergrund spielen und in die Medien drängen. Ein Bespiel ist „Emine aus Incesu“, über Emine habe ich einen 60–minütigen Dokumentarfilm gemacht. Als 18-jährige kam sie 1966 allein aus der Türkei nach Deutschland, zum Arbeiten. Es ist wenig bekannt, dass 20 Prozent der sogenannten Gastarbeiter aus der Türkei Frauen waren. Emine hat mir ihre Lebensgeschichte anvertraut, da war sie fast 60 Jahre alt.
Oder die alten Damen in meinem Film „Visiting the Past – Von New York nach Essenheim“, die die New Yorker Jüdin zum Kaffee einladen, in dem Ort, aus dem ihre jüdische Familie 1934 vertrieben wurde. Wären Männer in der Runde dabei gewesen, hätten sie sie schon allein mit ihren lauteren Stimmen übertönt, und die Frauen sich vermutlich nicht getraut, sich vorsichtig an das zu erinnern, was damals geschehen ist. Aber in dem Fall war die Damenrunde nicht schwer durchzusetzen, da die Männer bereits verstorben waren.
In Ihrem Werk „Visiting the Past – Von New York nach Essenheim“ begleiten Sie Joan Salomon aus New York bei einem Besuch im rheinhessischen Essenheim, das ihre Familie 1934 aufgrund der antisemitischen Anfeindungen verlassen musste. Wie kam dieses Projekt zustande und welche Reaktionen gab es darauf?
Diese Geschichte ist sozusagen zu mir gekommen. Ich habe nicht danach gesucht. Da ich lange Zeit in Essenheim gelebt habe, wussten dort viele, dass ich Filme mache. Und eine der alten Essenheimerinnen, die auch im Film dabei ist, meinte, dass der Besuch von Joan Salomon ein Thema für mich sein könnte. Damit hatte sie ja auch Recht. Es ist immer gut, wenn einem die Geschichten begegnen, man von ihnen überrascht ist. Denn anfangs konnte ich nicht glauben, dass es meiner New Yorker Protagonistin in dem rheinhessischen Dorf tatsächlich gefällt. Wie kann sie den Ort, aus dem ihre Familie vertrieben wurde, mögen? Im Laufe der Dreharbeiten habe ich es dann verstanden und es ist mir offenbar auch gelungen, es im Film zu vermitteln. Eine solche ‚Story‘ kann man nicht vom Schreibtisch aus oder am Computer finden.
Ich freue mich, wie gut der Film angenommen wird, auf wie vielen Veranstaltungen, in wie vielen Kinos er schon gezeigt wurde. Den Schulen steht er online zur Verfügung und auch das HdE hat Kopien, sodass der Film dort jederzeit angeschaut werden kann und anschließend hoffentlich darüber diskutiert wird. Solche Filme sind auch deshalb wichtig, weil es ja nicht mehr so viele Zeitzeug*innen gibt, die befragt werden können.
Gibt es ein „Wunschprojekt“, das Sie unbedingt in Zukunft einmal umsetzen möchten?
Ich würde gern noch einmal einen Stoff von Anna Seghers aufgreifen. Es würde mich sehr reizen, Szenen aus „Das Siebte Kreuz“ an Originalschauplätzen in Rheinhessen zu verfilmen und in Bezug zu setzen zu realen Begebenheiten, wie ich es in meinem Film „Katharina oder: Die Kunst Arbeit zu finden“ gemacht habe. Aber leider besteht keine Chance, die Rechte an dem Stoff zu erwerben. Ich habe es mehrfach vergeblich versucht.
Und ich möchte endlich meine Langzeitbeobachtung über den Iztuzu Strand in der Türkei beenden und aufzeigen, wie der Tourismus das Leben der Einheimischen verändert hat. Aber es gab in den letzten Jahren immer wieder Hindernisse dorthin zu reisen, aktuell kann ich wegen der Corona-Pandemie dort nicht drehen.