Im Gespräch mit … Mirko Drotschmann


Seit acht Jahren ist Mirko Drotschmann mit seinen YouTube-Kanälen MrWissen2go und MrWissen2go Geschichte aktiv und gehört mit über einer Millionen Abonnenten und über 200 Millionen Aufrufen zu den erfolgreichsten YouTubern in diesem Bereich. Wir sprechen mit ihm über die Chancen und Herausforderungen bei der Wissensvermittlung über Online-Kanäle.
Dieses Interview kann auch als Audiodatei unten auf der Seite abgerufen werden.


Interview: Dr. Cornelia Dold & Janika Schiffel | Juni 2020


Zur Person
Mirko Drotschmann ist Journalist, Buchautor und Webvideoproduzent. Er arbeitete bei der ZDF-Kindersendung logo!, war Moderator bei N-Joy und freier Reporter bei anderen Rundfunkanstalten sowie der Stuttgarter Zeitung. Der studierte Historiker und Kulturwissenschaftler ist Geschäftsführer der Produktionsfirma objektiv Media GmbH. Als Mitglied im überparteilichen Landesrat für digitale Entwicklung und Kultur berät er die rheinland-pfälzische Landesregierung zu digitalen Themen.
Auf seinen YouTube Kanälen MrWissen2go und MrWissen2go Geschichte beschäftigt er sich mit historischen, gesellschaftlichen und aktuellen politischen Themen.
(Foto: Schmott Photographers)



Sie haben Geschichte und Kulturwissenschaften studiert und einen journalistischen Hintergrund. Wie kam es zu der Idee mit MrWissen2go einen historisch-politischen Bildungskanal aufzubauen?

Die Idee kam mir, als ich mit meinem Schwager auf eine Abiturklausur in Geschichte gelernt habe, er es [meine Erklärungen] einigermaßen verstanden hat und seine Note danach auch ganz gut war. Da dachte ich mir, warum machst du dieses Erklären nicht auch im Netz und versuchst es bei YouTube. YouTube, die Bewegtbild-Plattform Nummer Eins, auch damals vor acht Jahren schon. Die Idee war, dass wenn die Leute dort sowieso unterwegs sind, um sich unterhalten zu lassen, sie sich doch zwischendurch auch informieren könnten. Zudem dachte ich mir, dass ich es mir als Schüler gewünscht hätte, Nachhilfevideos im Netz zu bekommen und so habe ich es einfach probiert. Geschichte deshalb, weil es mir fachlich naheliegt, genau wie politische Themen auch. Ich habe auch direkt versucht, journalistische Formate bei YouTube auszuprobieren, da ich selbst zu dem Zeitpunkt auch schon als Journalist gearbeitet habe.


Mit 1,26 Millionen Abonnenten sind Sie einer der erfolgreichsten YouTuber im Bildungsbereich. Worauf führen Sie diesen Erfolg zurück?

Ich mache mir da gar nichts vor. Ich glaube das hat vor allem mit zwei Dingen zu tun, nämlich zum einen, dass es nicht so viele gibt, die in diesem Genre unterwegs sind und zum anderen hängt das wahrscheinlich auch mit dem langen Zeitraum zusammen, in dem ich das schon mache. Mir ist bewusst, dass wenn es noch mehr Leute gäbe, die Geschichtsvideos machen würden und so lange dabei wären, dann wäre meine Abonnentenzahl vermutlich nicht ganz so hoch. So kommt man zwangsläufig irgendwann zu meinen Videos: Wenn man nach dem Zweiten Weltkrieg sucht oder nach der Situation in Syrien, landet man dann schon recht bald auf einem meiner Kanäle.


Sie beschäftigen sich in Ihren Videos mit sehr unterschiedlichen Themen, von der Antike bis hin zu tagesaktuellen Problemen. Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Themen aus?

Es gibt ja zwei Kanäle, einmal MrWissen2go Geschichte und einmal MrWissen2go. MrWissen2go Geschichte ist –wie der Name schon sagt – ein Kanal für historische Themen. Hier orientieren wir uns an den Lehrplänen in Deutschland, aber auch generell an dem, was in unseren Augen relevant ist. So versuchen wir immer wieder, tagesaktuelle Dinge aufzugreifen und diese historisch zu beleuchten. Der zweite wichtige Ansatz ist das Zuschauerinteresse: Das, was gewünscht wird, versuchen wir umzusetzen. So ist es auch auf dem anderen Kanal MrWissen2go. 70 bis 80 Prozent der Videos basieren auf Zuschauerwünschen und das korreliert sehr stark mit dem, was aktuell passiert. Wenn es Ausschreitungen und Proteste – oder andersrum in den USA – gibt und sehr viele Menschen darüber sprechen, dann ist auch die Vermutung nahe, dass es viele Menschen interessieren würde, wenn man ein Video darüber macht. So versuche ich mich an Aktualität zu orientieren und so auch am Zuschauerinteresse. Hin und wieder begegnet mir auch irgendwo ein interessantes Thema, bei dem ich denke, dass ich das auch in einem Video umsetzen könnte.



Gerade in der jetzigen Zeit wird wieder vermehrt über Digitalisierung und einen Wandel in der Bildung gesprochen. Welche Chancen, aber vielleicht auch Probleme, sehen Sie in der Vermittlung über YouTube und andere Online- Kanäle?

Die große Chance, die ich sehe, ist, dass man Zielgruppen erreicht, die man über klassische Medien kaum noch bekommt, wie beispielsweise übers Fernsehen oder Radio – gerade eine sehr junge Zielgruppe. Und dass man diese Leute oft in einer Situation erwischt, in der sie eigentlich entspannt sind und sich mit Unterhaltung ‚berieseln‘ lassen wollen und man ihnen dann vielleicht noch ein bisschen Wissen ‚unterjubeln‘ kann, um es mal gemein zu sagen. Die große Chance ist einfach, eine überwiegend junge Zielgruppe über politische, gesellschaftliche, kulturelle Themen zu informieren, weil man sich auf ihrer Plattform bewegt.
Große Probleme sehe ich tatsächlich in der Qualitätssicherung. Der große Vorteil bei YouTube ist, dass jeder dort Inhalte veröffentlichen kann. Aber das ist gleichzeitig auch ein großer Nachteil. Denn, wer es nur einigermaßen geschickt anstellt, eine gute Rhetorik hat und einigermaßen ein Schnittprogramm beherrscht, der kann leicht große Massen täuschen, indem er bewusst manipulierende Inhalte bei YouTube veröffentlicht. Es fehlt das Korrektiv, das man in traditionellen Redaktionen hat. Es fehlen prüfende Blicke bevor etwas veröffentlicht wird und vor allem fehlt eine kritische Einordnung. Die kann man als Zuschauer selbst vornehmen und dann auch kommentieren, aber viele machen das eben nicht. So lassen sich Menschen auch immer wieder täuschen und das finde ich problematisch.


In Ihrem Kanal sprechen Sie die unterschiedlichsten historischen und politischen Themen an und schaffen es, diese meist in nur 10 bis 15 Minuten anschaulich zu erklären. Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich dadurch in der Arbeit?

Tatsächlich ist es vor allem die Kürze, die Herausforderungen mit sich bringt. Es wäre kein Problem, 30 bis 60 Minuten lange Videos zu veröffentlichen, da könnte man sich wunderbar ausbreiten. Aber das würden sich die Wenigsten anschauen. Komplexe Sachverhalte in kürzester Zeit darzustellen, das ist eine große Herausforderung, aber macht auch eine Menge Spaß. Meine Skripte sind, ehe ich sie aufnehme, meistens doppelt so lang wie sie sein sollten und dann geht es ans Kürzen. Da muss man dann immer aufpassen, dass es dadurch nicht falsch wird, aber letztendlich ist es eine Sache, die immer wieder Freude mit sich bringt.
Was auch eine Herausforderung ist, ist sich auf seine Zielgruppe einzustellen: Zu gucken, wer schaut denn die Videos und wie spricht man sie am besten an, welches Vorwissen haben sie und welchen Zugang findet man. Auch das ist eine besondere Herausforderung, die man so in den anderen Mediengattungen nicht hat, denn da streut man einfach und hofft, dass man die verschiedensten Zielgruppen erreicht – zumindest meistens.



Sie haben auch zahlreiche Videos produziert, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus beschäftigen. Haben Sie – gerade bei diesen Videos – Erfahrungen mit antidemokratischen, verharmlosenden oder geschichtsrevisionistischen Kommentaren gemacht und wie reagieren Sie darauf?

Ja, gerade bei Videos zu Themen wie „Rassenpolitik der Nationalsozialisten“, „Judenverfolgung“ und anderen, gibt es jede Menge Kommentare, die in eine höchst problematische Richtung gehen, die antidemokratisch sind, die revisionistisch sind. Das, was gegen unsere Gesetze verstößt, das muss natürlich gelöscht werden, das ist klar. Das, was nicht gegen die Gesetze verstößt, das aber trotzdem problematisch ist, bedarf einer Einordnung im Sinne einer Gegenrede, einer Richtigstellung. Es gibt tatsächlich auch immer wieder Kräfte, die versuchen, vor allem junge Menschen, bewusst zu manipulieren durch das, was sie in den Kommentaren schreiben. Meine Hauptreaktion ist dann eben die Gegenrede: Ich versuche Dinge klarzustellen und vor allen Dingen versuche ich auch immer wieder etwas aufzugreifen und dann ein Video darüber zu machen. Zum Beispiel habe ich ein Video gemacht über die Verschwörung rund um die Rothschilds und als da in diesem Zusammenhang sehr viele antisemitische Kommentare kamen, habe ich dann ein Video zum Thema „Antisemitismus“ gemacht. Man kann das dann eben verknüpfen und dann für aufklärerische Zwecke verwenden.


Immer wieder wird über die Algorithmen bei YouTube diskutiert, durch die man mit Vorschlägen zu Videos aus teils rechtsextremen, verschwörungstheoretischen und rassistischen Kreisen konfrontiert wird. Wie schätzen Sie die Wirkung solcher Vorschläge gerade auf junge Menschen ein?

Das ist natürlich hoch problematisch, wobei man YouTube zugutehalten muss, dass da in den vergangenen sechs bis zwölf Monaten schon einige Schritte gegangen wurden, damit genau solche Videos nicht mehr so häufig empfohlen werden. Aber, wenn man will, findet man sie trotzdem und sie werden einem dann doch relativ schnell angezeigt. Ich glaube, dass gerade junge Menschen Dinge noch nicht richtig – oder nicht immer richtig – einordnen können und wenn es gut gemacht ist, diese Dinge dann vielleicht glauben, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Ich glaube das ist wirklich ein Knackpunkt und da ist noch viel Luft nach oben, bei dem was YouTube machen kann. Wobei man auf der anderen Seite natürlich dann immer aufpassen muss, dass keine Zensur betrieben wird und dass es da nicht eine Art „Wahrheitsinstitution“ gibt, die jetzt bestimmt, was gut ist und was nicht, sondern, dass alles noch auf dem Boden unserer Meinungs- und Pressefreiheit ist. Das ist natürlich ein schmaler Grat, auf dem man da gehen muss.


Insbesondere in den letzten Monaten haben die Klickzahlen rassistischer und verschwörungstheoretischer Videos zugenommen. Inwiefern denken Sie, dass Sie mit MrWissen2go solchen Inhalten und Kanälen entgegenwirken können?

Offen gesagt glaube ich, dass die Klickzahlen in den letzten Monaten nicht unbedingt zugenommen haben, sondern dass sie in den Monaten davor zugenommen haben und dass sich das jetzt erst so richtig bemerkbar macht. Mein Ansatz ist der, die zentralen Motive solcher Videos aufzugreifen und sie mit Faktenchecks zu hinterfragen, ohne aber diesen Ursprungsvideos damit weiter Reichweite zu verschaffen. Also man sollte die Theorien, um die es da geht, durchaus behandeln, weil man davon ausgehen kann, dass viele diese Videos finden und sich anschauen und dann wissen wollen, ob das stimmt oder nicht. Man sollte aber nicht noch dafür sorgen, dass diese Videos unnötig weiterverbreitet werden. Auch das ist ein schmaler Grat, aber mein Ansatz ist eben der, durch Aufklärung der Falschinformation, die durch solche Videos transportiert wird, entgegenzuwirken.

Interview mit Mirko Drotschmann


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