Christian Führer


geb. Christian Friedrich Ernst Führer

5. März 1943–30. Juni 2014

evangelischer Pfarrer der Nikolaikirche Leipzig, einer der Organisatoren der Leipziger Montagsdemonstrationen 1989

Foto: Marco Schulze CR LeipzigSeiten ©CC-BY-SA 3.0


„Wir gehören nicht zu denen, die zurückweichen und verloren gehen, sondern zu denen, die glauben und das Leben gewinnen.“

Dieser Auszug aus dem Hebräerbrief, war für den Pfarrer Christian Führer, dem Organisator der Leipziger Friedensgebete, die ein zentraler Bestandteil der friedlichen Revolution 1989 in der DDR wurden, ein wichtiges Motto, das ihn zum Protest gegen das DDR-Regime inspirierte.

Christian Friedrich Ernst Führer wurde am 5. März 1943 in Leipzig geboren und wuchs in Langenleuba-Oberhain, Sachsen, auf. Nach dem Vorbild seines Vaters, der auch Pfarrer war, studierte er von 1961 bis 1966 evangelische Theologie in Leipzig und wurde anschließend Pfarrer. 1968 heiratete er seine Frau Monika, mit der er vier Kinder bekam. Nachdem er zunächst in Lastau und Colditz tätig war, übernahm er 1980 die Pfarrei der Leipziger Nikolaikirche. In diesem Jahr entstand auch eine gesamtdeutsche Zusammenarbeit der Landesjugendpfarrer und der Evangelischen Kirche in der DDR mit der Idee einer Friedensdekade. Ziel dieser Zusammenarbeit war eine Veranstaltung über zehn Tage, die im Herbst 1980 unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ zu Abrüstung und Frieden aufrufen sollte. Zu diesen Veranstaltungen organisierte Führer ab 1981 die ersten Friedensgebete, die jeden Montag stattfanden und von großer Bedeutung werden sollten. Dabei entstand auch eine enge Kooperation mit oppositionellen Basisgruppen aus Leipzig.

1986 ließ Führer ein Schild mit der Aufschrift „Nikolaikirche – offen für alle“ an seiner Kirche installieren. Ab 1987 wurde er noch politischer, als er gemeinsam mit Christoph Wonneberger einen Gesprächskreis mit dem Titel „Hoffnung für Ausreisewillige“ organsierte. Zudem nahm er an friedlichen Demonstrationen wie dem Olof-Palme-Friedensmarsch teil. Dennoch distanzierte er sich 1988 auch von oppositionellen Gruppen, um keine staatlichen Repressionen befürchten zu müssen. Da der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) die Friedensgebete, die Christian Führer kontinuierlich fortführte, missfielen, versuchte der Staat Druck gegen ihn aufzubauen. Beispielsweise besuchten Genossen seine Predigten und die Besucher*innen seiner Friedensgebete wurden polizeilich kontrolliert.

Einen Höhepunkt der Anspannung wurde am 9. Oktober 1989, nur etwa einen Monat vor dem Mauerfall, erreicht, als sich 600 Genossen bereits Stunden vor einem Friedensgebet in der Kirche versammelten. Unbeirrt hielt Führer jedoch seine Predigt und ließ einen Aufruf zur Gewaltlosigkeit verlesen. Anschließend an das Gebet fand eine Demonstration mit über 70.000 Teilnehmer*innen statt, auf der friedlich gegen das DDR-Regime demonstriert wurde. Diese Montagsdemonstrationen, die im Jahr 1989 regelmäßig stattfanden, spielten aus heutiger Sicht eine wichtige Rolle im Prozess der friedlichen Revolution.

Auch nach der Wiedervereinigung engagierte sich Führer politisch und stand mit seinen Friedensgebeten weiterhin für soziale und pazifistische Werte ein. Für seine Taten wurde er schließlich mit dem Augsburger Friedenspreis, der Goldenen Henne und dem Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet. 2008 verließ er die Nikolaikirche und ging im Alter von 65 Jahren in den Ruhestand. Nach langer Krankheit verstarb Christian Führer am 30. Juni 2014 in seiner Heimatstadt Leipzig. Seine Friedensgebete und die eng damit verbundenen friedlichen Demonstrationen sind aus heutiger Sicht ein zentraler Aspekt der friedlichen Revolution und dem daraus folgenden Umsturz der DDR.


Montagsdemonstrationen und die friedliche Revolution

„Wir sind das Volk!“ ist die wohl bekannteste der Parolen, mit denen Demonstrierende der DDR 1989 in der friedlichen Revolution es schafften, das SED-Regime in die Knie zu zwingen und gewaltlos ihre Freiheit zu erringen. Doch damit dies erreicht werden konnte, brauchte es zunächst viele kleine Schritte in eine freiheitliche Zukunft. Mitte der 1970er-Jahre kam es zu den ersten liberalen Impulsen in der DDR. Mit der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) wurden in einem internationalen Abkommen den Menschen der DDR und dem gesamten Ostblock Grundfreiheiten und die Einhaltung der Menschenrechte versprochen. Aus Sicht der DDR war diese Schlussakte wichtig, um international anerkannt zu werden.

Da die zugesicherten Rechte in der DDR jedoch nicht eingehalten wurden, entstanden Bürgerbewegungen, die freiheitliche Forderungen stellten. Unbeeindruckt davon blieb das SED-Regime jedoch starr und erlies neue Gesetze, die die Verfolgung des politischen Widerstands vereinfachten und noch willkürlicher machten.
Dennoch entwickelten sich in den 80er-Jahren weitere Friedens- und Umweltbewegungen, die oft von der Kirche unterstützt wurden. Beispielsweise sind die Friedensdekaden zu nennen, die ab 1980 unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ für Abrüstung und Frieden einstanden. Daraus entstanden auch die von Christian Führer 1981 ins Leben gerufenen Friedensgebete, die jeden Montag in der Leipziger Nikolaikirche abgehalten wurden. In den 80er-Jahren wurde die Stimmung in der DDR und im gesamten Ostblock zunehmend angespannter. Immer mehr Menschen wollten die Flucht ergreifen. Im Sommer 1989 gingen etwa 120.000 Ausreiseanträge ein. Diese Zahl ist vor allem dann beeindruckend, wenn man sie in Relation zu der Gesamtbevölkerung von ca. 16,4 Millionen Bürger*innen setzt.

Im selben Jahr spitzte sich die Lage schließlich entscheidend zu. Im Mai 1989 hatte Ungarn als erstes Land die Grenzen zum Westen geöffnet und einigen DDR-Bürger*innen gelang so die Flucht. Zudem gelang es ab dem 30. September 1989 insgesamt ca. 17.000 Bürger*innen über die westdeutsche Botschaft in Prag auszureisen. Im selben Monat wuchs auch die Bedeutung der Friedensgebete von Christian Führer. Erstmals versammelten sich am 4. September ca. 1.000 Menschen nach dem Gebet vor der Leipziger Nikolaikirche, um für Reise- und Versammlungsfreiheit sowie das Ende des SED-Regimes im Allgemeinen zu demonstrieren. Diese „Montagsdemonstrationen“ vervielfachten sich Woche für Woche, sodass am 2. Oktober bereits 20.000 Menschen vor Ort waren. Um nach außen Stärke zu zeigen, feierte die SED am 6. Oktober trotz der Proteste, die von Leipzig ins ganze Land übergegangen waren, den 40. Jahrestag der DDR. Aufhalten ließ sich die Revolution jedoch nicht mehr. Am 9. Oktober waren in Leipzig bereits 70.000 und am 30. Oktober schließlich sogar 300.000 Menschen versammelt. Obwohl die Mittel für eine gewaltsame Auflösung der Demonstrationen gegeben waren, griffen – anders als beim Volksaufstand 1953 – die sowjetischen Soldaten und die Nationale Volksarmee (NVA) nicht ein. Auch die Massenflucht nahm immer weiter zu, sodass die Regierung nun gezwungen war zu handeln.

Am 9. November 1989 reagierte die Regierung schließlich, indem Günter Schabowski ein neues Ausreisegesetz verkündete. Nun sollten Bürger*innen „schnell und unbürokratisch“ von den Behörden Visa zur Ausreise ausgestellt werden. Daraufhin strömten noch am Abend des 9. November Tausende Menschen an die Grenzübergänge, wo sie nach 28 Jahren der Berliner Mauer endlich die Grenze passieren und in den Westen gehen konnten.

Einige Monate später, am 18. März 1990, fanden die ersten freien Wahlen in der DDR statt, in denen sich Lothar De Maizière (CDU) durchsetzen konnte und zum Ministerpräsidenten der letzten DDR-Regierung gewählt wurde. Nach Verhandlungen zwischen den deutschen Staaten und den vier Besatzungsmächten des Zweiten Weltkriegs (2 plus 4-Gespräche) traten die fünf Neuen Länder dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei und Deutschland wurde am 3. Oktober 1990 wieder ein geeintes Land.


Literaturhinweise:

Christian Führer hat Leipzig maßgeblich geprägt, Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, in: MDR Geschichte Online, URL: <https://www.mdr.de/geschichte/ddr/deutsche-einheit/mauerfall/leipzig-nikolaikirche-pfarrer-christian-fuehrer-102.html> [aufgerufen am 14.03.2022].

Christian Führer (05.03.1943-30.06.2014), mit Friedensgebeten für den offenen Dialog, URL: <https://www.demokratie-geschichte.de/koepfe/2183> [aufgerufen am 14.03.2022].

Der die DDR aus den Angeln hob – zum Tod von Pfarrer Christian Führer, in: Deutsche Welle, URL: <https://www.dw.com/de/der-die-ddr-aus-den-angeln-hob-zum-tod-von-pfarrer-christian-führer/a-17748850> [aufgerufen am 14.03.2022].

Die friedliche Revolution in der DDR 1989/90, in: Deutscher Bundestag Online, URL: <https://www.bundestag.de/besuche/ausstellungen/verfassung/tafel34/tafel34-199820> [aufgerufen am 15.03.2022].

Grau, Andreas/Haunhorst, Regina: Opposition und Bürgerbewegung, in: Lebendiges Museum Online, URL: <https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-krisenmanagement/niedergang-der-ddr/opposition-und-buergerbewegung.html> [aufgerufen am 15.03.2022].

Grau, Andreas: KSZE, in: Lebendiges Museum Online, URL: <https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-krisenmanagement/konfrontation-und-annaeherung/ksze.html> [aufgerufen am 15.03.2022].

Grötemaker, Manfred: Zusammenbruch des SED-Regimes, URL: <https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/deutsche-teilung-deutsche-einheit/43716/zusammenbruch-des-sed-regimes/> [aufgerufen am 15.03.2022].

Schneider, Jens: Friedlicher Revolutionär, Zum Tod von Christian Führer, in: Süddeutsche Zeitung, URL: <https://www.sueddeutsche.de/panorama/zum-tod-von-christian-fuehrer-friedlicher-revolutionaer-1.2024553> [aufgerufen am 14.03.2022].

Würz, Markus: Deutsche Einheit, in: Lebendiges Museum Online, URL: <https://www.hdg.de/lemo/kapitel/deutsche-einheit> [aufgerufen am 15.03.2022].

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