geb. Marianne Adelaide Hedwig Schlesinger
20. September 1831–1. Juni 1919
Publizistin, Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Mitgründerin des „Vereins Frauenbildung – Frauenstudium”
„Ich bin des Glaubens, dass die eigentliche Geschichte der Menschheit erst beginnt, wenn der letzte Sklave befreit ist, wenn das Privilegium der Männer auf Bildung und Erwerb abgeschafft, wenn die Frauen aufhören, eine unterworfene Menschenklasse zu sein.“ – Mit dieser Grundeinstellung, die Hedwig Dohm 1878 in ihrem Text „Ich bin des Glaubens“ niederschrieb, lässt sich ihr Kampf für Gleichberechtigung erklären.
Hedwig Dohm wurde am 20. September 1831 als Marianne Adelaide Hedwig Jülich in Berlin geboren. Sie war das dritte von neun Kindern des Tabakfabrikanten Gustav Adolph Schlesinger und seiner Partnerin Wilhelmine Henriette Jülich. Schon in frühen Jahren wurde sie nach dem für das 19. Jahrhundert typischen Geschlechterbild erzogen. Während ihre Brüder ihren Bildungswünschen nachgehen konnten, musste Hedwig Dohm nach dem Besuch der Mädchenschule schon im Alter von 15 Jahren die Schule beenden. Vermutlich entwickelte sie bereits hier die Motivation, sich für bessere Bildungschancen für Frauen einzusetzen.
1853 heiratete Dohm ihren Mann Wilhelm Friedrich Ernst Dohm, einen Redakteur des Satiremagazins „Kladderadatsch“, mit dem sie fünf Kinder bekam. Durch ihren Mann bekam sie Zugang zu neuen intellektuellen Kreisen. So gingen in ihrem Salon bekannte Persönlichkeiten wie Ferdinand Lassalle, Alexander von Humboldt und Theodor Fontane, um nur einige aus einer langen Reihe zu nennen, ein und aus.
1872, im Alter von 40 Jahren, begann Dohm schließlich auch selbst zu schreiben. Ihre zwischen 1872 und 1879 veröffentlichten ersten vier Essaybände „Was die Pastoren von den Frauen denken“, „Der Jesuitismus im Hausstande“, „Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau“ und „Der Frauen Natur und Recht“ gelangten schnell zu großer Bekanntheit. Die radikalen feministischen Ansichten polarisierten gesellschaftlich. Mit „Humor und Scharfsinn“ kritisierte sie den Geschlechterdualismus und schrieb von ihrer Idee des gleichen „Ganzmenschen“. Dohm stand für Themen wie die freie Berufswahl und ökonomische Selbstständigkeit der Frau, Stimmrecht für Frauen, selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche und sexuelle Aufklärung von Mädchen ein. Außerdem stellte sie sich gegen die Mystifizierung der Mutterschaft und die Prostitution. In ihren Werken werden aber nicht nur Intellektuelle kritisiert, sondern auch Frauen, die selbst nichts an ihrer Situation ändern wollen. Kritik bekam sie dafür aber nicht nur aus konservativen Kreisen, sondern auch von anderen Feminist*innen, für die Dohms Ansätze zu radikal waren.
Neben den Essaybänden schrieb Dohm auch Märchen, Lustspiele, Romane, Novellen, eine wissenschaftliche Arbeit über Literatur, sowie viele Artikel und Beiträge für feministische, linke und liberale Zeitungen. Erst in den 1890er-Jahren fand sie Mitstreiter*innen, die mit Dohms radikalen Ansichten übereinstimmten. Sie engagierte sich schließlich in einigen Vereinen, die sich für Bildungs- und Sexualreformen einsetzten. Zudem war sie als Pazifistin während des Ersten Weltkrieges immer eine entschiedene Gegnerin des Krieges. Am 1. Juni 1919 starb Hedwig Dohm in Berlin, nur einige Monate nachdem Frauen zum ersten Mal in Deutschland wählen durften.
Frauenwahlrecht
Für unser heutiges Demokratieverständnis sind einige Grundsätze, wie freie und geheime Wahlen, unabdingbar. Auch die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau scheinen für uns heute als selbstverständlich, doch vor gut 100 Jahren noch, gab es über das Frauenwahlrecht keinen gesellschaftlichen Konsens. Am 19. Januar 1919 fanden mit der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung erstmals deutschlandweit Wahlen statt, an denen sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen durften. Doch bis dahin war es ein langer Weg.
Wie viele unserer heutigen Werte stammt die Idee des Frauenwahlrechts aus der Französischen Revolution, also aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Doch mit den Grundsetzen von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ wurde zunächst das Wahlrecht für Männer gefordert. Vereinzelt gab es aber auch in dieser Zeit schon Rufe nach Frauenrechten wie von Olympe de Gouges (1748–1793), die für ihre Forderungen schließlich hingerichtet wurde. In Deutschland begannen die Forderungen nach umfassenden Frauenrechten erst im späten 19. Jahrhundert. Eine der bekanntesten Kämpferinnen ist wohl Hedwig Dohm, die 1873 dazu aufrief, das Stimmrecht für Frauen zu fordern, denn nur so würde ein „Weg der Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau“ ermöglicht werden.
Generell gab es im Kaiserreich jedoch nur das Dreiklassenwahlrecht, das es auch nicht allen Männern erlaubte, den Reichstag zu wählen, sondern Wohlhabende bevorzugte und Mittellose ganz ausließ. Als erste Partei nahm schließlich die SPD 1891 die Forderung des Frauenwahlrechts in ihr Parteiprogramm auf und stellte 1895 den ersten Antrag dazu. Zu dieser Zeit hatten Frauen es im Allgemeinen sehr schwer, ihre politischen Interessen zu formulieren, da bis 1908 ein Verbot für Frauenvereine in Preußen und weiten Teilen Deutschlands galt. Nach der Aufhebung des Verbotes organisierten sich viele Frauen in Parteien und Vereinen, und bauten beispielsweise durch Demonstrationen politischen Druck auf. Auf solch einer Demonstration am 19. März 1911 fanden sich über eine halbe Millionen Frauen in Berlin zusammen. 1916 fusionierten verschiedene Frauenstimmrechtsvereine unter dem Vorsitz von Maria Stritt, die zuvor den Bund Deutscher Frauenvereine leitete, zum Deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht. Nichtsdestotrotz brachte auch eine Antrag 1917 im Deutschen Reichstag keine Veränderungen.
Den wirklichen Umbruch gab es erst nach Ende des Krieges und dem damit einhergehenden Systemwechsel zu dem neuen „Rat der Volksbeauftragten“. Dieser verkündete in seinem Regierungsprogramm vom 12. November 1918 das gleiche, geheime, direkte und allgemeine Wahlrecht für alle Bürger*innen von mindestens 20 Jahren. Bei den ersten Wahlen vom 19. Januar 1919 schafften schließlich auch 37 Frauen den Einzug in den Reichstag, was allerdings nur einen Anteil von 8,7% ausmachte. In der ersten Rede einer Abgeordneten im Reichstag vom 19. Februar 1919 sagte Marie Juchasz (SPD): „Sie [die Regierung] hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“
Die Zahl der Abgeordneten in der Weimarer Republik ging jedoch weiter zurück und auch in der neuen Bundesrepublik gab es zunächst nur wenige Frauen im Parlament. Allerdings war nun ein parlamentarisches Miteinander der Geschlechter selbstverständlich geworden. Doch zunächst waren Frauen meist vor allem auf Themen wie Sozialpolitik spezialisiert, was sich mit dem Einzug der Grünen in den 1980er-Jahren in den Bundestag jedoch änderte. Sie waren es auch, die mehr und mehr Frauen in den Bundestag brachten. Innerhalb der Parteienlandschaft gibt es jedoch große Unterschiede, was den Frauenanteil betrifft.
Im europaweiten Vergleich war Finnland 1906 das erste Land, in dem Frauen wählen durften. Im Vergleich zu einigen weiteren großen europäischen Staaten wie Norwegen (1913), dem Vereinigten Königreich (1928), Spanien (1933), Frankreich (1945) oder Italien (1946), zählt Deutschland zwar nicht zu den ersten Staaten mit Frauenwahlrecht, ist jedoch auch eindeutig kein „Nachzügler“.
Literaturhinweise:
FrauenMediaTurm, bearbeitet von Dr. Jessica Bock: Hedwig Dohm, URL: <https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/hedwig-dohm#actor-quotations> [aufgerufen am 16.03.2022].
Internetredaktion LpB BW: Geburtsstunde des Frauenwahlrechts in Deutschland, <URL: https://www.lpb-bw.de/12-november> [aufgerufen am 23.03.2022].
Lenz, Kristin: Vor 100 Jahren: Reichswahlgesetz führt das Frauenwahlrecht ein, Deutscher Bundestag, Online-Dienste, URL: <https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw48-kalenderblatt-frauenwahlrecht-580156> [aufgerufen am 23.03.2022].
Lypp, Lucas (2019): Der lange Weg zu Frauenwahlrecht, Deutscher Bundestag, Online-Dienste, URL: <https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw47-frauenwahlrecht-669048> [aufgerufen am 23.03.2022].
Müller, Nikola; Rohner, Isabel: Biographie Hedwig Dohm, URL: <https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Frauenwahlrecht-in-Deutschland-Die-Geburtsstunde-1918,frauenwahlrecht110.html> [aufgerufen am 23.03.2022].