geb. Herbert Ernst Frahm
18. Dezember 1913–8. Oktober 1992
erster sozialdemokratischer Bundeskanzler (1969–1974), Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und langjähriger SPD-Vorsitzender
Foto: Bundesarchiv
Willy Brandt wurde am 18. Dezember 1913 als Herbert Ernst Karl Frahm in Lübeck geboren und verstarb am 8. Oktober 1992 mit 78 Jahren. Er war der erste Kanzler der Bundesrepublik, der von der SPD gestellt wurde und bekleidete dieses Amt als Regierungschef einer Koalition von SPD und FDP zwischen 1969 bis 1974.
Schon früh hatte sich Brandt politisiert, war während der Weimarer Republik unter anderem Mitglied der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ), trat mit 16 Jahren in die SPD ein und publizierte regelmäßig politische Texte. Angesichts der nationalsozialistischen ‚Machtübernahme‘ ging Brandt 1934 nach Norwegen, um von dort aus Widerstand gegen das NS-Regime zu organisieren. Hier nahm er den Namen Willy Brandt an.
In der deutschen Nachkriegszeit war er von 1949 bis 1957 Abgeordneter des Bundestags, von 1957 bis 1966 Berlins regierender Bürgermeister und zwischen 1964 bis 1987 Vorsitzender der SPD. In der Zeit zwischen 1966 und 1969 war Brandt Außenminister der Großen Koalition und im Jahr 1969 wurde Willy Brandt schließlich Bundeskanzler der BRD. Er erhielt 1971 für seine Ostpolitik, die sich durch die sogenannten Ostverträge und den damit einhergehenden Ausgleich mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten wie Polen und der DDR auszeichnete, den Friedensnobelpreis. Willy Brandts Kanzlerschaft ist bis heute für viele darüber hinaus mit der Ausweitung demokratischer Bürgerrechte und politischer Teilhabe verbunden. Neben seiner häufig zitierten Aussage „Mehr Demokratie wagen“, die Brandt in seiner Regierungserklärung 1969 verwendete, ist besonders Brandts Kniefall vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos 1970 im kollektiven Gedächtnis verankert. Kurz vor der Unterzeichnung des bilateralen Warschauer Vertrags, in dem unter anderem die Oder-Neiße-Linie faktisch als Westgrenze Polens zugesichert wurde, kniete Brandt während der Kranziederlegung vor dem Denkmal nieder. In Deutschland blieb die Geste zunächst umstritten. Laut einer Spiegelumfrage kurz nach dem Kniefall lehnten 48 Prozent der Befragten diesen ab, 41 Prozent befürworteten ihn. In der westlichen Presse gingen die Bilder des Kniefalls dennoch um die Welt, zeigten sie doch ein Bild eines „neuen“ Deutschlands, dass sich um Aussöhnung und Gedenken bemühte. Diese symbolträchtige Geste der Demut und Anerkennung kann als ein einschneidender Schritt hin zu einer transnationalen Erinnerungskultur gelten.
„Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“
(Brandt, Willy: Erinnerungen., Propyläen Verlag, Frankfurt a. M. 1989, S. 214).
Die neue Ostpolitik
In Zeiten einer bipolaren Welt und eines drohenden Atomkriegs, läutete der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt mit seiner „neuen Ostpolitik“ einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik ein. Bereits in den 1950er-Jahren positionierte Brandt, der damals noch Abgeordneter im Bundestag (1949 – 1957) bzw. Bürgermeister von West-Berlin (1957 – 1966) war, stehts für eine Entspannungspolitik zwischen der NATO, dem westlichen Verteidigungsbündnis unter der Führung der USA, und dem Warschauer Pakt, dem östlichen Verteidigungsbündnis unter der Führung der Sowjetunion. Ihm war klar, dass es eine „friedliche Koexistenz“ dieser beiden Bündnisse brauche, um kommunistische Herrschaften in Osteuropa langfristig zu überwinden. Mit einer gewaltsamen Lösung hingegen würde die Drohung eines atomaren Zerstörungskrieges wahr werden. Daher sollte man anstatt der nahezu bedingungslosen Westintegration auch Ostpolitik betreiben.
Doch während der 1950er-Jahre bestand in der Bundesrepublik noch die Hallsteindoktrin, die den diplomatischen Umgang mit den osteuropäischen Staaten, besonders mit der DDR, untersagte. Zusätzlich erhob die Bundesrepublik den alleinigen Anspruch der Rechtsnachfolge des Deutschen Reichs und somit die alleinige Vertretung der Interessen des deutschen Volkes zu vertreten. Mit der Berlinkrise und dem Mauerbau 1961 verfestigten sich die gegensätzlichen Positionen der zwei Blöcke Ost und West zusätzlich.
Willy Brandt, der als Bürgermeister West-Berlins unmittelbar mit dem Mauerbau konfrontiert war, erkannte, dass man nun in der Deutschlandpolitik von der „Deutschen Frage“, also den Ziel der schnellen Wiedervereinigung, abrücken und vor allem West-Berlin sichern sowie die Grenze wieder öffnen sollte. So brauchte es nun den „Wandel durch Annäherung“, wie es sein engster Berater Egon Bahr ausdrückte. Also setzte Brandt zunächst auf kleine Schritte, wie den ersten Verhandlungen mit der DDR-Regierung, aus denen das erste Passierscheinabkommen hervorkam, das es Hundertausenden West-Berliner*innen an Weihnachten ermöglichte, ihre Familien im Osten zu besuchen.
Als Brandt als Außenminister unter Bundeskanzler Kiesinger ab 1966 auch seine Annäherungspolitik auf der Bundesebene umsetzen konnte, scheiterten der Aufbau von diplomatischen Beziehungen zu allen Ostblockstaaten, außer Rumänien, da die Sowjetunion, Polen und die DDR den anderen Staaten den Kontakt untersagten.
Mit der Wahl zum Bundeskanzler 1969 konnte seine Ideen schließlich entscheidend umsetzen. So trat er als erster deutscher Bundeskanzler 1970 eine Reise in die DDR an. Zwar wurde in diesem Besuch politisch nichts erreicht, doch war es ein Zeichen für eine neue Ostpolitik. Diese Politik war vor allem geprägt vom Gewaltverzicht, der Anerkennung der Grenzen in Europa, dem Abbau von Spannungen, der Friedenssicherung und der blockübergreifenden Kooperation. Zudem wurden Verträge mit Moskau, Polen, der DDR, der Tschechoslowakei sowie das Vier-Mächte-Abkommen geschlossen und Brandt erkannte die Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens an. Somit beendete er auch die westdeutschen Ansprüche auf die ehemals deutschen Gebiete in Polen. Seine wohl bekannteste Geste ist der Kniefall am Denkmal für die Toten des Warschauer Ghettos, mit dem er sich zu der deutschen Schuld und Verantwortung bekannte und um Vergebung bat.
Durch die neuen Beziehungen zur DDR wurde das Leben Millionen Deutscher geprägt, da es nun geregelte Reise- und Besuchsgesetze zwischen den deutschen Staaten gab. Nichtsdestotrotz erkannte die Bundesrepublik unter Brandt die DDR völkerrechtlich nicht an, da die Wiedervereinigung weiterhin ein Ziel der Bundesregierung blieb. Nach Brandts Amtszeit, die 1974 mit seinem Rücktritt endete, erreichten die Ostpolitik und der Kalte Krieg mit der Abschlussakte der KSZE, die gegenseitige innenpolitische Souveränität und Wahrung von Menschen- und Freiheitsrechten garantierte, 1975 einen Höhepunkt der Entspannung. Nach dieser Phase der Entspannung nahm jedoch die Aufrüstung wieder zu mit dem Afghanistan Krieg und der Polenkrise wurde die Eskalation des Kalten Krieges wieder konkreter.
Mit dem Fall der Berliner Mauer und der darauffolgenden Wiedervereinigung erfüllte sich schließlich Brandts großes Ziel eines freien vereinten Deutschlands, für das er den Grundbaustein gelegt hatte.
Literaturhinweise:
Bellers, Jürgen: Brandts Ostpolitik, Scildemante Verlag Siegen, Siegen 2013.
Grau, Andreas: Neue Ostpolitik, in: Lebendiges Museum Online, <URL: https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-modernisierung/neue-ostpolitik.html > [aufgerufen am 17.03.2022].
Grau, Andreas: Moskau, Warschau, Prag, in: Lebendiges Museum Online, <URL: https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-modernisierung/neue-ostpolitik/moskau-warschau-prag.html > [aufgerufen am 17.03.2022].
Willy Brandt online Biografie: Frieden sichern und Mauern überwinden – Ost- und Deutschlandpolitik 1955–1989, Bundeskanzler Willy Brandt Stiftung, URL: https://www.willy-brandt-biografie.de/politik/ost-und-deutschlandpolitik/ > [aufgerufen am 17.03.2022].