Was bedeutet es, Widerstand zu leisten oder Zivilcourage zu zeigen? Was heißt das in einer Diktatur, was in einer Demokratie? Die Frage, was als Widerstand gegen den Nationalsozialismus bezeichnet werden kann oder darf, lässt sich nicht einfach und allgemeingültig beantworten. Sie ist auch unter Historiker*innen umstritten; reicht die Vorstellung von Widerstand doch von Formen widersetzlichen Verhaltens in alltäglichen Situationen bis hin zu Planung oder Durchführung eines aktiven Umsturzversuches.
In unserer Dauerausstellung zeigen wir daher vielfältige Formen des Widerstandes auf. Dies geschieht anhand exemplarischer Beispiele aus unserer Region. Die meisten Menschen verbinden mit dem Thema „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ den 20. Juli 1944, insbesondere Claus Schenk Graf von Stauffenberg, oder die Weiße Rose. Doch neben diesen bekannten Widerstandsgruppen gab es zahlreiche Menschen oder Gruppierungen, die im kleineren Rahmen Widerstand geleistet haben, oder aber diese Gruppierungen unterstützt haben – auch in Mainz und Rheinhessen.
So stellen wir unter anderem die Biografie des Oppenheimers Jakob Steffan vor. Der Sozialdemokrat warnte früh vor den Nationalsozialisten und wurde aufgrund seiner oppositionellen Haltung im KZ Dachau inhaftiert. Trotz Überwachung durch die Geheime Staatspolizei stellte sich Steffan nach seiner Haftentlassung 1940 dem Widerstandsnetzwerk rund um Wilhelm Leuschner, der bis zur nationalsozialistischen ‚Machübernahme‘ hessischer Innenminister war und am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde, zur Verfügung. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich Steffan stark für die strafrechtliche Verfolgung von Nationalsozialisten ein. Er wollte, dass sie entweder in Haft genommen wurden, oder aber beim Wiederaufbau des Landes helfen sollten. Unter anderem deshalb wurde er von der US-Militärregierung als Polizeipräsident in Rheinhessen eingesetzt.
Diejenigen, die Widerstand gegen das NS-Regime leisteten, waren eine Minderheit. Frauen, die Widerstand leisteten, waren eine Minderheit in dieser Minderheit. Doch es gab sie – auch in Mainz. So beispielsweise Anna Hauck, die sich schon früh im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands engagierte. Während des Zweiten Weltkrieges knüpfte Hauck auf der Ingelheimer Aue, einer beliebten Badestelle, Kontakt zu Ostarbeiterinnen. Diese Ostarbeiterinnen waren in umliegenden Firmen, wie zum Beispiel der Firma Erdal als Zwangsarbeiterinnen beschäftigt. Sonntags war es ihnen gestattet, auf der Ingelheimer Aue baden zu gehen. Hauck versorgte diese Frauen mit Lebensmitteln, um deren Not zu lindern. Einer Frau gab sie ihre Nähmaschine, sodass sie dringend benötigte Kleidungsstücke für die Kinder der Ostarbeiterinnen nähen konnte. Diese Art des Widerstandes, den Hauck so leistete, stellt humanitären Widerstand dar, eine Widerstandsart, die im kollektiven Gedächtnis in der Regel hinter politischen und militärischen Widerstand zurücktritt. Die Ablehnung des Nationalsozialismus aus humanitären Gründen und die – häufig auch illegale und damit potenziell lebensgefährliche – Hilfe für Verfolgte muss aber ebenso als Widerstand gelten
Diese unterschiedlichen Formen des Widerstandes zeigen wir nicht nur in unserer Dauerausstellung, auch in unserem Workshop „Widerstand unter der NS-Diktatur“ geht es um die unterschiedlichen Gruppierungen und Formen des Widerstandes. Mithilfe der Methode des Stationenlernens beschäftigen sich Besucher*innen hier mit verschiedenen Akteur*innen aus Rheinhessen und Mainz. Die Auseinandersetzung mit Widerstandsformen zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur dient als Grundlage, um auch über heutige Formen von Zivilcourage ins Gespräch zu kommen. Wo fängt Widerstand an, was ist Zivilcourage? Wo gibt es Gemeinsamkeiten und wo gibt es Unterschiede zwischen dem Leisten von Widerstand und dem Zeigen von Zivilcourage in einer Diktatur und einer Demokratie?